Dr.
Alexander Bissels und Dr. Stefan Steeger
Zusammenführung
der Tarifverträge BAP/DGB und iGZ/DGB zu einem einheitlichen
Tarifwerk GVP/DGB – eine erläuternde Analyse (Teil 1)
Die
Zeitarbeitsbranche hat in den letzten Jahren eine signifikante
Entwicklung durchgemacht, die maßgeblich durch die
Zusammenführung der beiden Arbeitgeberverbände BAP und iGZ mit
Wirkung zum 01.12.2023 zum GVP geprägt wurde. Dieser
Zusammenschluss war zunächst "nur" eine
organisatorische Vereinigung.
Die
von BAP und iGZ mit der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit jeweils
gesondert vereinbarten Tarifwerke BAP/DGB und iGZ/ DGB, die
inhaltlich zwar große Parallelen, aber auch noch Unterschiede
aufweisen, sind von der "Fusion" nicht betroffen
gewesen, sondern "liefen" im GVP uneingeschränkt
weiter. Ein tarifrechtliches Unikum – so kann man zumindest
behaupten: ein Arbeitgeberverband, bei dem gleich zwei Tarifwerke
mit dem identischen Tarifpartner auf der Gewerkschaftsseite
gelten.
Damit
ist nun Schluss: mit Wirkung zum 01.01.2026 werden die beiden
Tarifwerke zu einem einheitlichen Regelwerk (GVP/DGB)
zusammengefasst. Endlich – möchte man sagen – wird das
Projekt der Zusammenführung der Verbände auch auf tariflicher
Ebene vollendet.
Aber
was steht nun konkret in dem neuen, ab dem 01.01.2026 geltenden
Tarifwerk GVP/DGB drin? Und was ändert sich für die
Tarifanwender? Und was gilt es zu tun? Die entsprechenden
Anpassungen möchten wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit
– nachfolgend für Sie in einem ersten Teil zusammenfassen und
analysieren. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe –
seien bzw. bleiben Sie also gespannt!
I.
Wie kommen die Tarifverträge GVP/DGB zur Anwendung? Was muss
getan werden?
Das
Tarifwerk GVP/DGB besteht – wie bisher – aus einem Mantel-,
einem Entgeltrahmen- und einem Entgelttarifvertrag (kurz: MTV,
ERTV und ETV). Es fehlt der bisher in der "iGZ-Welt"
geltende Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, der aber in
der Praxis – soweit bekannt – kaum eine Relevanz hatte. Diesen
wird es zukünftig nicht mehr geben. In dem neuen GVP/DGBTarifwerk
werden zudem folgende Regelungen aus den bisherigen
Tarifverträgen entfernt, nämlich:
-
Tarifliche Schlichtungsstelle (§ 9 MTV iGZ/DGB);
-
Salvatorische Klausel (§ 14 MTV iGZ/DGB; § 8 ERTV iGZ/DGB; § 6
ETV iGZ/DGB);
-
Arbeitsversäumnis (§ 12.1 und 2 MTV BAP/DGB);
-
Besserstellungsvereinbarungen (§ 4 ETV iGZ/DGB);
-
Sonstiges (§ 7 ETV BAP/ DGB mit sog. Besserstellungsabreden).
Die
Bestimmungen hatten in dem jeweiligen Schwestertarifwerk keine
inhaltliche Entsprechung und sind in den MTV GVP/DGB nicht
übernommen worden – für die Praxis verschmerzbar. Eine
erhebliche praktische Relevanz dürfte diesen Regelungen nicht
zugekommen sein.
Die
bisher abgeschlossenen Branchenzuschlagstarifverträge sind für
BAP- und iGZ-Mitglieder in der Vergangenheit bereits wortgleich
formuliert worden; eine Zusammenführung mit inhaltlichen
Änderungen ist nicht erforderlich. Vielmehr müssen in den
Branchenzuschlagstarifverträgen nur einige wenige redaktionelle
Anpassungen vorgenommen werden, z.B. im fachlichen Geltungsbereich
und bei Verweisungen auf die bisherigen Tarifverträge BAP/DGB und
iGZ/DGB (s. § 2 Abs. 7 TV BZ ME).
Das
neue Tarifwerk GVP/DGB gilt nach der Zusammenführung der
Tarifverträge von BAP und iGZ für Mitglieder des GVP mit
Tarifbindung (sog. T-Mitgliedschaft) laut Satzung
"automatisch"; es sind zunächst keine weiteren Schritte
zu veranlassen. Ist ein Zeitarbeitnehmer Mitglied einer
DGB-Gewerkschaft, gilt das Tarifwerk GVP/DGB aufgrund einer
beidseitigen übereinstimmenden Tarifbindung der
Arbeitsvertragsparteien ohne weitere Umsetzung. Da der
Organisationsgrad auf Arbeitnehmerseite in der Zeitarbeitsbranche
aber "traditionell" eher niedrig ist bzw. der
Arbeitgeber oftmals nicht genau weiß, ob ein Arbeitnehmer
Mitglied in einer DGBGewerkschaft ist, sind in den in der Praxis
verwendeten Arbeitsverträgen sog. Bezugnahmeklauseln auf die
Tarifverträge der Zeitarbeit vorgesehen. Diese
"ersetzen" die ggf. fehlende Gewerkschaftsmitgliedschaft
des Zeitarbeitnehmers und sorgen – unabhängig von der
vorstehenden Anforderung – dafür, dass die Tarifverträge auf
das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, auch um den
Gleichstellungsgrundsatzes ab dem ersten Tag der Überlassung
abzubedingen.
Die
vom BAP und iGZ bzw. GVP herausgegebenen Musterarbeitsverträge
beziehen sich ausdrücklich auf neu abgeschlossene Tarifverträge,
die die bisher von BAP und iGZ mit den DGB-Gewerkschaften
vereinbarten Tarifverträge ablösen bzw. ersetzen. Dies bedeutet,
dass die dort vorgesehenen Bezugnahmeklauseln sich
"automatisch" ebenfalls auf das Tarifwerk GVP/ DGB
beziehen und dieses in das jeweilige Arbeitsverhältnis mit dem
Zeitarbeitnehmer inkorporieren.
In
diesem Sinne heißt es in dem neuen MTV GVP/DGB (§ 16 Abs. 1)
ausdrücklich:
"Der
Manteltarifvertrag DGB/GVP ersetzt die bisherigen
Manteltarifverträge, die die DGB-Mitgliedsgewerkschaften mit dem
Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. (BAP) bzw.
seinem Rechtsvorgänger Bundesverband Zeitarbeit Personal-
Dienstleistungen e.V. (BZA) abgeschlossen haben und die bisherigen
Manteltarifverträge, die die DGB Mitgliedsgewerkschaften mit dem
Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. (iGZ)
abgeschlossen haben."
Diese
Regelung findet ihre inhaltliche Entsprechung im neu
abgeschlossenen ERTV und ETV GVP/ DGB.
Dies
bedeutet letztlich, dass die alten Tarifverträge BAP/DGB und
iGZ/DGB über entsprechende Bezugnahmeklauseln ohne weiteres Zutun
des Arbeitgebers durch das Tarifwerk GVP/DGB substituiert werden.
ACHTUNG:
Es ist jedoch dringend zu empfehlen, einen Blick auf die
historisch verwendeten und über die Zeit ggf. angepassten
Arbeitsverträge zu werfen und insbesondere die dortigen
Bezugnahmeklauseln hinsichtlich der konkreten Formulierung zu
überprüfen. Im Übrigen dürfen in den Arbeitsverträgen keine
inhaltlichen, für den Zeitarbeitnehmer nachteiligen Abweichungen
von den neuen tariflichen Regelungen vorgesehen sein; dies kann
dazu führen, dass der Gleichstellungsgrundsatz nicht wirksam
abbedungen wird. Vor diesem Hintergrund sollten die bisher
verwendeten Arbeitsverträge und auch etwaige Zusatzvereinbarungen
einer Sichtung unterzogen werden, um ggf. noch Anpassungen
vornehmen zu können, bevor das Tarifwerk GVP/DGB ab dem
01.01.2026 in Kraft tritt.
Eine
Anwendung der "alten" Tarifverträge von BAP und iGZ ab
dem 01.01.2026 wäre grundsätzlich vorstellbar; dies hätte aber
zur Folge, dass – neben etwaigen verbandsrechtlichen Sanktionen
– der Gleichstellungsgrundsatz nicht mehr wirksam abbedungen
wird. Vor diesem Hintergrund ist zu empfehlen, ab dem 01.01.2026
die neue Tarifwelt des GVP arbeitsvertraglich und praktisch
umzusetzen. Zu beachten ist auch, dass das Tarifwerk GVP/DGB zur
Abbedingung des Gleichstellungsgrundsatzes nicht in Bezug genommen
werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.2026
beginnen soll. Bis zu diesem Zeitpunkt muss zu diesem Zweck noch
auf die "alten" Tarifwerke verwiesen werden; ab dem
01.01.2026 kann dann der Wechsel auf die Tarifverträge GVP/DGB
erfolgen.
II.
Änderungen im Manteltarifvertrag
1.
Sog. AT-Beschäftigte
Im
MTV GVP/DGB wird es eine Regelung zu sog. außertariflich
Beschäftigten (AT-Beschäftigte) geben. Dies ist neu für die
bisherigen iGZ-Anwender. Die Klausel lautet (§ 1.3 Abs. 2) wie
folgt:
"Einzelvertraglich
können von den Regelungen dieses Tarifvertrages abweichende
Vereinbarungen zum Entgelt getroffen werden mit Arbeitnehmern, die
außertariflich beschäftigt sind, wenn ihr Jahresverdienst den
tariflichen Jahresverdienst der höchsten tariflichen
Entgeltgruppe übersteigt."
Die
tarifliche Bestimmung legitimiert, wenn und soweit die
tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, Abweichungen von
den tariflichen Regelungen beim Entgelt, ohne dass damit das
Risiko begründet sein soll, dass der Gleichstellungsgrundsatz zur
Anwendung kommen könnte. Anwendern der Tarifverträge BAP/DGB ist
diese Klausel schon bekannt. Sie ist an § 1.3 Abs. 2 MTV BAP/DGB
angelehnt, der allerdings weiter formuliert war. Danach waren für
AT-Beschäftigte Abweichungen von den tariflichen Bestimmungen in
allen Regelungsbereichen möglich. Der MTV GVP/ DGB beschränkt
diese Möglichkeit, indem Modifikationen nur noch beim Entgelt
möglich sind. Es ist allerdings darauf zu achten, dass durch
diese die Höhe des tariflichen Jahresverdienstes der höchsten
tariflichen Entgeltgruppe nicht unterschritten wird, da in diesem
Fall der AT-Status nicht mehr vorliegt, der aber gerade
Voraussetzung für entsprechend zulässige Abweichungen von den
tariflichen Vorschriften ist. Wichtig ist also, dass – nach der
Definition des BAP in dessen Tarifhandbuch zur Altregelung – ein
Mitarbeiter nur dann außertariflich beschäftigt ist, wenn sein
Jahresverdienst den tariflichen Jahresverdienst der höchsten
tariflichen Entgeltgruppe (EG 9) zzgl. des einsatzbezogenen
Zuschlags nach § 4 ETV BAP/DGB oder von ggf. zu zahlenden
Branchenzuschlägen (sofern der Mitarbeiter in einer
zuschlagspflichtigen Branche eingesetzt wird) übersteigt.
ACHTUNG:
Einzelvertragliche Abweichungen von den entgelttechnischen
Vorgaben des Tarifwerks GVP/DGB sind vor diesem Hintergrund nur
mit Bedacht vorzunehmen, möchte das Zeitarbeitsunternehmen nicht
riskieren, dass bei zu Lasten des Mitarbeiters wirkenden
Modifikationen der Gleichstellungsgrundsatz ab dem ersten Tag des
Einsatzes hätte beachtet werden müssen.
2.
Abschaffung der Schriftform für Arbeitsverträge
Sowohl
im MTV BAP/DGB als auch im MTV iGZ/DGB ist vorgesehen, dass der
Abschluss des Arbeitsvertrags "schriftlich", also mit
"wet ink", zu erfolgen hat. Es dürfte sich dabei
allerdings nur um eine Ordnungsvorschrift handeln; bei einem
Verstoß wäre der Arbeitsvertrag daher – unter
Berücksichtigung von Arbeitnehmerschutzaspekten – nicht
unwirksam, jedoch würde ein Verstoß gegen die tariflichen
Bestimmungen vorliegen, der ggf. verbandsrechtliche Konsequenzen
nach sich ziehen kann.
Das
strenge Schriftformerfordernis ist nach dem neuen MTV GVP/DGB
(endlich!) Geschichte. In § 2.1 heißt es nun erfrischend
deutlich:
"Der
Arbeitgeber hat mit dem Arbeitnehmer den Arbeitsvertrag nach
Maßgabe des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nachweisgesetz mindestens in
Textform (§ 126b BGB) abzuschließen. Im Einzelfall wird auf
Verlangen des Arbeitnehmers ein schriftlicher Arbeitsvertrag
ausgehändigt."
Damit
wird im MTV GVP/DGB der Rechtszustand tariflich nachgezeichnet,
den der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2025 durch das sog.
Bürokratieentlastungsgesetz IV (kurz: BEG IV) vorgezeichnet hat,
indem er im NachwG eine sog. qualifizierte Textform für den
Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen zugelassen hat. Diese
Form wird nun von den Tarifvertragsparteien im MTV GVP/DGB für
den Abschluss eines Arbeitsvertrages übernommen, der zukünftig
auch – nach den näheren Vorgaben von § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG
– textförmlich, z.B. per E-Mail, geschlossen werden kann,
jedoch kann der Zeitarbeitnehmer weiterhin einen schriftlichen
Arbeitsvertrag ("wet ink") verlangen; diese Ausnahme ist
im NachwG ebenfalls angelegt bzw. vorgesehen. Bislang ist nicht
abschließend geklärt, ob die Erleichterung bei der
einzuhaltenden Form des Arbeitsvertrages auch gilt, wenn ein
Zeitarbeitnehmer in Wirtschaftsbereichen oder -zweigen tätig
wird, die in § 2a SchwarzArbG genannt sind, z.B. in der
Gebäudereinigung (s. dazu: § 2 Abs. 1 S. 6 NachwG). U.E.
dürften die besseren Argumente dafür sprechen, dass die
qualifizierte Textform des NachwG (i.V.m. MTV GVP/DGB) in diesem
Zusammenhang hinreichend und die strenge Schriftform nicht zu
beachten ist (vgl. Bissels in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch,
14. Auflage 2025, D. Arbeitnehmerüberlassungsrecht Rn. 78a;
BeckOK/Motz, § 11 AÜG Rn. 4b.1.).
Die
Tarifvertragsparteien haben vereinbart, dass diese Änderung
bereits ab dem 01.08.2025 gelten soll. Zu diesem Zweck sollen die
bisherigen Tarifwerke BAP/DGB und iGZ/DGB angepasst werden. Damit
können die Tarifanwender schon vor Inkrafttreten des GVP/DGB-Tarifwerks
von der vorgesehenen Formerleichterung profitieren und sich diese
nutzbar machen. Sollte das Zeitarbeitsunternehmen die
Arbeitsverträge mit seinen Mitarbeitern bislang schriftlich
abgeschlossen haben und daran nichts ändern wollen, ist dies
freilich weiterhin möglich und selbstverständlich zulässig.
ACHTUNG:
Soll der Arbeitsvertrag mit einem Zeitarbeitnehmer befristet
vereinbart werden, bedarf die Befristungsabrede auch nach dem
01.08.2025 weiterhin der Schriftform (§ 14 Abs. 4 TzBfG).
Ansonsten ist diese unwirksam und ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis entsteht. Da die Befristung in der Regel
arbeitsvertraglich vereinbart wird, "infiziert" das
Schriftformerfordernis der Befristung den gesamten Arbeitsvertrag.
Nach überwiegender Ansicht kann die Schriftform bei der
Befristung durch die Nutzung einer qualifizierten elektronischen
Signatur (§ 126a BGB: elektronische Form) gewahrt werden. Im
Ergebnis bedeutet dies, dass die (tariflich ermöglichte)
Formerleichterung ins Leere läuft, wenn das
Zeitarbeitsunternehmen in einem Arbeitsvertrag wirksam eine
Befristung vorsehen möchte. Dieses muss dann die strenge
Schriftform oder zumindest die elektronische Form nach § 126a BGB
wahren. Abhilfe kann in diesem Zusammenhang nur der Gesetzgeber
schaffen, indem dieser das gesetzliche Schriftformerfordernis in
§ 14 Abs. 4 TzBfG aufhebt oder zumindest abschwächt. Ob dies in
dieser Legislatur geschehen wird, was zu hoffen ist, bleibt
abzuwarten.
3.
Ende des Arbeitsverhältnisses bei Anspruch auf ungekürzte
Regelaltersrente
Im
MTV iGZ/DGB ist vorgesehen, dass das Arbeitsverhältnis mit dem
Zeitarbeitnehmer automatisch endet, wenn dieser einen Anspruch auf
eine ungekürzte Regelaltersrente hat (dort: § 2.1. Abs. 2). Eine
entsprechende oder vergleichbare Bestimmung fehlt im MTV BAP/DGB
und musste bislang einzelvertraglich vereinbart werden. Ist dies
nicht (...)
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