Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Umsetzung
der sog. Arbeitsbedingungenrichtlinie: Dringender Handlungsbedarf
für Personaldienstleister
Die
sog. Arbeitsbedingungenrichtlinie (RiLi (EU) 2019/1152 des
Europäischen Parlaments und des Rates über transparente und
vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union vom
20.07.2019; im Folgenden: "Richtlinie" genannt) ist am
31.07.2019 in Kraft getreten. Sie verfolgt das Ziel einer
einheitlichen Unterrichtung der Arbeitnehmer über die
wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses innerhalb der EU.
Die Unterrichtung soll Transparenz und Vorhersehbarkeit schaffen
– insbesondere in atypischen Arbeitsverhältnissen wie in der
Gig Economy.
Die
Richtlinie sieht vor:
.
Unterrichtungspflichten, insbesondere über Arbeitsort, Funktion,
Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses oder den zeitlichen
Einsatzkorridor und Mindestankündigungsfristen vor
Arbeitsaufnahme;
.
Mindestanforderungen, etwa hinsichtlich der Höchstdauer einer
Probezeit oder dem Ersuchen um einen Übergang zu einer anderen
Arbeitsform;
.
Durchsetzungsbestimmungen, um die Umsetzung der neuen
Anforderungen in der Praxis sicherzustellen.
Die
Arbeitsbedingungenrichtlinie gibt den Mitgliedstaaten auf, bei der
Umsetzung den Aufwand speziell für kleine und mittlere
Unternehmen zu berücksichtigen. Eine Unterrichtung kann dabei
auch auf elektronischem Weg erfolgen.
Für
die Implementierung in das nationale Recht sieht die Richtlinie
eine Frist bis zum 01.08.2022 vor. Zwischenzeitlich hat die
Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Umsetzung vorgelegt
(BR-Drucksache 154/22 v. 08.04.2022); das Gesetzgebungsverfahren
ist inzwischen abgeschlossen worden. Das Gesetz wird zum
01.08.2022 in Kraft treten. Auf dieser Grundlage ergeben sich
überwiegend Änderungen im Nachweisgesetz (NachwG).
Dort
ist bereits festgelegt, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die
wesentlichen Bedingungen für ein Arbeitsverhältnis schriftlich
mitteilen muss. In der Regel erfolgt dies durch den
Arbeitsvertrag. Bei bestimmten Angaben – insbesondere zum
Arbeitsentgelt, zur Arbeitszeit, zum Urlaub und zur Kündigung –
reicht der Hinweis auf Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen;
sind bei Urlaub und Kündigung die gesetzlichen Regelungen
maßgebend, kann der Arbeitgeber darauf Bezug nehmen.
Bisher
wurde das NachwG in der Praxis häufig vernachlässigt. Aufgrund
der geplanten Änderungen, die insbesondere neue Sanktionen bei
Verstößen gegen die gesetzlichen Pflichten vorsehen, wird sich
dies mit hoher Wahrscheinlichkeit ändern. Vorweg gleichwohl
folgender Hinweis: für Arbeitgeber relevant ist vor allem, was
sich nicht geändert hat. Der Gesetzentwurf sieht für den
Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen weiterhin ein
strenges Schriftformerfordernis vor. Die elektronische Form ist
explizit ausgeschlossen, obwohl die Richtlinie dies ausdrücklich
zulässt. Eine Begründung für diese Entscheidung liefert der
Gesetzgeber erstaunlicherweise nicht.
Neu
ist: wer nicht oder nicht richtig unterrichtet, handelt künftig
ordnungswidrig; das vorgesehene Bußgeld beträgt bis zu 2.000,00
EUR.
Ferner
gilt (wie bislang): ein Arbeitsverhältnis besteht zwar
unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen
Unterrichtungspflichten nachgekommen ist – Arbeitnehmer können
bei Verstößen allerdings ihre Arbeitsleistung zurückhalten, der
Arbeitgeber schuldet dennoch die vereinbarte Vergütung. Weist der
Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen nicht korrekt nach, kann sich
der Arbeitnehmer in einem Prozess – etwa über den Umfang der
vereinbarten Arbeitszeit – auf eine Beweiserleichterung bis hin
zu einer Beweislastumkehr berufen.
In
der Praxis haben diese Rechtsfolgen bisher allerdings keine große
Rolle gespielt – auch hinsichtlich möglicher
Schadensersatzansprüche. Denkbar sind diese etwa, wenn der
Arbeitgeber nicht auf anwendbare Tarifverträge hinweist, aus
denen sich eine Ausschlussfrist ergibt. Bisher musste der
Arbeitgeber spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn
des Arbeitsverhältnisses über die wesentlichen
Vertragsbedingungen unterrichten. Künftig unterscheidet das
NachwG nach dem Unterrichtungsgegenstand – für die Praxis
bietet es sich in der Regel an, sich an der kürzesten Frist zu
orientieren: nämlich spätestens am ersten Tag der
Arbeitsleistung.
Ändern
sich die wesentlichen Vertragsbedingungen, gilt
künftiggrundsätzlich: der Arbeitgeber muss spätestens an dem
Tag unterrichten, an dem die Änderungen wirksam werden.
Bei
bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen muss der Arbeitgeber
nach Aufforderung durch den Arbeitnehmer spätestens am siebten
Tag danach die fehlenden Angabennachholen – die Änderung des
NachwG wirkt sich folglich durcheine „Nachunterrichtungspflicht“
auch auf bestehende Arbeitsverhältnisse aus. (...)
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