Dr.
Alexander Bissels und Kira Falter
Die
Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs als Gestaltungsoption zum
Ausschluss einer Arbeitnehmerüberlassung
Vor
dem Hintergrund der erheblichen gesetzlichen Regulierung der
Zeitarbeit, insbesondere durch die (Wieder-)Einführung einer
gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und der zwingenden
Gewährung von equal pay nach neun Monaten eines Einsatzes bei
einem Kunden stellt sich in der Praxis immer wieder verstärkt die
Frage, wie die Arbeitnehmerüberlassung von einem im Rahmen eines
unternehmensübergreifenden, aber gesetzlich nicht nach Maßgabe
des AÜG regulierten Personaleinsatzes in einem
Gemeinschaftsbetrieb abgegrenzt oder wie dieser (bewusst) genutzt
werden kann, um eine Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden; dies
gilt gerade in Konstellationen, in denen ein längerfristiger oder
gar dauerhafter Arbeitskräftebedarf besteht.
I.
Einleitung
Unterscheidungskriterium
ist insoweit der – im Gegensatz zur Arbeitnehmerüberlassung –
bei einem Gemeinschaftsbetrieb bestehende gemeinsame
Betriebszweck. Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn der
Vertragsarbeitgeber des Arbeitnehmers dem Kunden den Mitarbeiter
überlässt, um diesen zur Verfolgung des betrieblichen Zwecks des
Kunden einzusetzen. Ein Gemeinschaftsbetrieb von
Vertragsarbeitgeber und dem Dritten liegt dagegen vor, wenn ein
gemeinsamer Betriebszweck beider Unternehmen besteht. Der
Arbeitnehmer wird somit nicht zur Verfolgung eines
"fremden" Betriebszwecks, sondern zu dem Betriebszweck
"auch seines Arbeitgebers" eingesetzt. Um eine
Arbeitnehmerüberlassung zu verneinen, ist es ausreichend, wenn
der Arbeitnehmer bei der Erfüllung seiner Arbeitsleistung u.a.
auch für seinen Vertragsarbeitgeber bei der Erfüllung von dessen
Aufgaben tätig wird. Entgegen der Definition der
Arbeitnehmerüberlassung wird der Arbeitnehmer ferner nicht im
Betrieb eines Dritten tätig, wenn der Beschäftigungsbetrieb ein
Gemeinschaftsbetrieb von Vertragsarbeitgeber und Drittem ist. Es
handelt es sich gerade nicht um einen "fremden", sondern
um einen "gemeinsamen" Betrieb der beteiligten
Unternehmen.
Dass
mehrere rechtlich selbstständige Arbeitgeber einen Betrieb
gemeinsam führen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG
anzunehmen, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen
materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen
einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet
und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen
Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert
wird (vgl. BAG v. 10.11.2011 - 8 AZR 538/10; BAG v. 11.12.2007 - 1
AZR 824/06). Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest
stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden
haben. Hierbei muss sich die einheitliche Leitung auf die
wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und
sozialen Angelegenheiten erstrecken. Eine lediglich
unternehmerische Zusammenarbeit genügt nicht. Vielmehr müssen
die Funktionen des Arbeitgebers institutionell einheitlich für
die beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. Entscheidend ist
insoweit, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz
praktiziert wird, der für den normalen Betriebsablauf
charakteristisch ist. So genügt die mit einem Konzernverhältnis
verbundene Beherrschung eines Unternehmens durch ein anderes
nicht, um das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebes zu bejahen.
Dies gilt auch dann, wenn das herrschende Unternehmen einem
beherrschten Unternehmen Weisungen erteilt. Das herrschende
Unternehmen wird dadurch nicht zusammen mit dem beherrschten
Unternehmen Inhaber eines gemeinsamen Betriebs. Es fehlt an der
hierzu erforderlichen Einbringung von Betriebsmitteln und
Arbeitnehmern. Eine gemeinsame Personalabteilung indiziert einen
Gemeinschaftsbetrieb noch nicht, wenn sich ihre Tätigkeit im
Wesentlichen auf Unterstützungs- und Beratungsleistungen
beschränkt. Entscheidend für einen gemeinsamen Betrieb ist, dass
für die maßgeblichen Personalfragen, wie Einstellung,
Versetzung, Kündigung oder Lage der Arbeitszeit bzw. Gewährung
von Urlaub, eine einheitliche Leitung zuständig ist, die diese
Fragen – unabhängig von der Unternehmenszugehörigkeit der in
dem Betrieb tätigen Mitarbeiter – entscheidet. Ein Beispiel:
Unternehmen
A und B betreiben zusammen einen großen Hotelbetrieb. Als
Küchenpersonal sind Arbeitnehmer des Unternehmens A eingesetzt,
während die Bedienung der Restaurantgäste ebenso wie den Service
im Hotelbetrieb Arbeitnehmer des Unternehmens B leisten.
Sämtliche im Hotel tätigen Arbeitnehmer unterliegen der
Weisungsbefugnis einer einheitlichen Hotelleitung. In diesem Fall
besteht ein Gemeinschaftsbetrieb zwischen A und B.
Anders
als im Fall der Arbeitnehmerüberlassung unterliegt der
Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb nicht dem Weisungsrecht eines
anderen Arbeitgebers. Das Weisungsrecht wird vom einheitlichen
Leitungsapparat der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten
Unternehmen ausgeübt. Dass eine Arbeitnehmerüberlassung und ein
Gemeinschaftsbetrieb sich ausschließen, haben in der jüngeren
Vergangenheit zahlreiche Instanzgerichte unter Verweis auf die
höchstrichterliche Rechtsprechung des BAG – auch in
Konzernstrukturen – immer wieder bestätigt (vgl. LAG Köln v.
24.02.2021 - 5 Sa 820/20; LAG Bremen v. 06.05.2020 - 3 Sa 47/19).
In diesem Sinne hat jüngst auch das Hess. LAG entschieden (Urt.
v. 15.01.2021 - 3 Sa 1115/19).
II.
Zusammenfassung der Entscheidung
Die
Beklagte zu 1) betreibt den Flughafen A. Seit dem Jahr 2012 bildet
die Beklagte zu 1) zusammen mit der B GmbH einen gemeinsamen
Betrieb mit knapp 10.000 Arbeitnehmern. Die Beklagte zu 2) ist ein
100%iges Tochterunternehmen der Beklagten zu 1). Gegenstand des
Unternehmens der Beklagten zu 2) ist nach der Eintragung im
Handelsregister zunächst gewesen: "Personaldienstleistungen
aller Art, u.A. Personalgestellung auf Grund des
Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), die Durchführung von
Werk- und Dienstverträgen und die Personalvermittlung, sowie alle
hiermit im Zusammenhang stehenden Geschäfte". Entsprechend
hatte die Beklagte zu 2) ursprünglich die bei ihr beschäftigten
gewerblichen Arbeitnehmer im Wege der Arbeitnehmerüberlassung an
die Beklagte zu 1) überlassen; diese hat die Zeitarbeitnehmer im
Bereich ihrer Bodenverkehrsdienste (im Folgenden: BVD) eingesetzt.
Unstreitig war, dass bis Juni 2017 jeweils 3.500 Arbeitnehmer der
Beklagten zu 2) als Zeitarbeitnehmer und ebenso viele Mitarbeiter
der Beklagten zu 1) im Bereich BVD eingesetzt worden sind. Sowohl
die Beklagte zu 1) als auch die Beklagte zu 2) sind im Besitz
einer unbefristeten Erlaubnis zur gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung.
Nach
einem Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 16.12.2016 hat
die Beklagte zu 2) ihren Unternehmensgegenstand geändert. Nach
der Eintragung im Handelsregister ist ihr Unternehmensgegenstand
nunmehr u.a. "die Erbringung von Dienstleistungen im
Luftverkehr, insbesondere im Rahmen der
Bodenverkehrsdienstleistungen sowie die Durchführung aller
hiermit im Zusammenhang stehender Geschäfte". Unter dem
20.06.2017 haben die Beklagte zu 1), die B GmbH und die Beklagte
zu 2) eine "Vereinbarung über die Führung eines gemeinsamen
Betriebs" (im Folgenden: Führungsvereinbarung) getroffen.
Danach sollten zum 01.07.2017 die in den Betriebsstätten der
Unternehmen in A vorhandenen materiellen und immateriellen
Betriebsmittel in einem gemeinsamen Betrieb eingesetzt und von
einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden. Am selben
Tag haben die drei Unternehmen auch eine
"Kooperationsvereinbarung zum Gemeinschaftsbetrieb" (im
Folgenden: Kooperationsvereinbarung) geschlossen, in der es u.a.
heißt:
"§ 1 Gegenstand der Vereinbarung
(1) Gegenstand der Vereinbarung ist die gemeinsame
Leistungserbringung im Gemeinschaftsbetrieb
von A, B und C.
[…]
(2) Dabei wird durch arbeitsorganisatorische Regelungen
sichergestellt, dass jedes Unternehmen im
Gemeinschaftsbetrieb weiterhin in die Steuerung der eigenen
Arbeitnehmer eingebunden bleibt.
(3) Die gemeinsame Leistungserbringung spiegelt sich in der
Abbildung der arbeitsorganisatorischen
Steuerungsstruktur des Gemeinschaftsbetriebs wider (Anlage
zu dieser Kooperationsvereinbarung)." In
der Anlage 3 zur Kooperationsvereinbarung finden sich Regelungen
zur gemeinsamen Steuerung von Betriebsmitteln und eine Übersicht
über die Betriebsmittel der Beklagten. Für die einzelnen zu
erbringenden Leistungen haben die beteiligten Unternehmen sog.
leistungsbezogene Kooperationsverträge geschlossen. Darin sind
die Details der Leistungserbringung, der gegenseitig zu
erfüllenden Anforderungen, der gemeinsamen Steuerung des
Personals und sonstiger Betriebsmittel, der Vergütung, der
Haftung, der Laufzeit und Kündigung (...)
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