Dr.
Alexander Bissels und Kira Falter
Abweichung
von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer durch den TV LeiZ
– Klappe, die Zweite!
Wir
haben erst jüngst über eine Entscheidung der 4. Kammer des LAG
Baden-Württemberg berichtet, nach der die im TV LeiZ für die
M+E-Branche verlängerte Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten
nur einschlägig sein soll, wenn neben dem Kunden auch der dort
eingesetzte Zeitarbeitnehmer tarifgebunden, sprich Mitglied in der
tarifvertragschließenden IG Metall ist (vgl. Bissels/Falter, BD
3/2021, 3 ff.). Zudem haben wir darauf hingewiesen, dass die 21.
Kammer des LAG Baden-Württemberg insoweit eine abweichende
Ansicht vertritt (Urt. v. 18.11.2020 – 21 Sa 12/20; vorgehend:
ArbG Stuttgart v. 21.11.2019 – 28 Ca 3686/19). Die Klage des
Mitarbeiters, der gegenüber dem Kunden wegen der (vermeintlichen)
Überschreitung der maßgeblichen, nämlich gesetzlichen
Überlassungshöchstdauer ein fingiertes Arbeitsverhältnis
geltend machte, wurde erstinstanzlich abgewiesen. Die hiergegen
von dem Zeitarbeitnehmer gerichtete Berufung blieb vor der 21.
Kammer des LAG Baden-Württemberg erfolglos.
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
Der
Kläger steht seit dem 15.03.2017 in einem Arbeitsverhältnis mit
der X-GmbH (im Folgenden auch "Vertragsarbeitgeberin"
genannt). Ab dem 11.05.2017 war der Kläger bis zum 30.04.2019 im
Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung bei der Beklagten als
Zeitarbeitnehmer eingesetzt. Der Kläger ist kein Mitglied der IG
Metall. Die Beklagte ist im Verband der Metallund Elektroindustrie
Baden-Württemberg (SÜDWESTMETALL) organisiert.
Zwischen
dem Verband der Metallund Elektroindustrie Baden-Württemberg und
der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg, Bezirksleitung
Baden-Württemberg wurde am 16.11.2018 der TV LeiZ abgeschlossen.
Dort ist in Ziff. 2.3 Folgendes geregelt:
„Die
Parteien stimmen darin überein, dass die Höchstdauer eines
Einsatzes nach diesem Tarifvertrag (Ziffer 3 und 4.1) 48 Monate
nicht überschreiten darf.“
Der
Kläger machte gegenüber der Beklagten das Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses mit dieser geltend und bot dessen
Arbeitskraft an. Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit,
dass aus ihrer Sicht kein Arbeitsverhältnis bestehe.
Die
21. Kammer des LAG Baden- Württemberg bestätigte die
klageabweisende Entscheidung des ArbG Stuttgart mit einer
überzeugenden Begründung:
Gem.
§ 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG sei der Arbeitsvertrag zwischen einem
Personaldienstleister und einem Zeitarbeitnehmer mit dem
Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer nach § 1
Abs. 1b AÜG grundsätzlich unwirksam. Gem. § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG
dürfe der Personaldienstleister denselben Zeitarbeitnehmer nicht
länger als 18 aufeinanderfolgende Monate demselben Kunden
überlassen; dieser wiederum dürfe denselben Zeitarbeitnehmer
nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate tätig werden
lassen. § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG bestimme, dass in einem
Tarifvertrag von den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche eine
von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer
festgelegt werden könne.
Nach
der ständigen Rechtsprechung des BAG beträfen Rechtsnormen eines
Tarifvertrags über betriebliche Fragen nach § 3 Abs. 2 TVG
Gegenstände, die nur einheitlich gelten könnten. Deren Regelung
in einem Individualarbeitsvertrag wäre zwar nicht im
naturwissenschaftlichen Sinne unmöglich, sie würde aber wegen
„evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit“ ausscheiden, weil
eine einheitliche Festlegung auf betrieblicher Ebene unerlässlich
sei. Bei der näheren Bestimmung dieses Normtyps sei von dem in §
3 Abs. 2 TVG verwendeten Begriff der „betrieblichen Fragen“
auszugehen. Dies seien nicht etwa alle Fragen, die im weitesten
Sinne durch die Existenz des Betriebs und durch die besonderen
Bedingungen der betrieblichen Zusammenarbeit entstehen könnten.
Gemeint seien vielmehr nur solche Fragen, die unmittelbar die
Organisation und Gestaltung des Betriebs, also der Betriebsmittel
und der Belegschaft, beträfen. Diese Umschreibung markiere zwar
keine scharfe Grenze, sie verdeutliche aber die Funktion und die
Eigenart der Betriebsnormen nach § 3 Abs. 2 TVG. Diese regelten
normativ das betriebliche Rechtsverhältnis zwischen dem
Arbeitgeber und der Belegschaft als Kollektiv, hingegen nicht die
Rechtsverhältnisse zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen
Arbeitnehmern, die hiervon allenfalls mittelbar betroffen seien.
Zunächst
sei festzustellen, dass der Kläger von seiner
Vertragsarbeitgeberin ununterbrochen länger als 18 Monate in
einen Betrieb der Beklagten eingesetzt worden sei. Darin liege
eine Verletzung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18
Monaten, aber keine Verletzung der Überlassungshöchstdauer gem.
§ 1 Abs. 1b S. 3 AÜG i.V.m. Ziff. 2.3 TV LeiZ. Diese Bestimmung
finde für die Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten
Anwendung, da diese als eine Betriebsnorm zu qualifizieren sei.
§
1 Abs. 1b S. 3 AÜG differenziere bei der Regelung, wer mit
welchen Mitteln eine von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichende
Überlassungsdauer festlegen könne, nicht danach, ob dies
Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis zwischen dem
Zeitarbeitnehmer und seinem Vertragsarbeitgeber oder zwischen dem
Zeitarbeitnehmer und dem Kunden, bei dem er tätig werde, habe
oder ob die Abänderungsmöglichkeit für beide
Vertragsverhältnisse oder nur für eines der beiden gelte.
Auszugehen sei jedoch davon, dass eine Verlängerung der
Überlassungshöchstdauer auf beide Vertragsverhältnisse
Auswirkungen habe, da nur eine derartige Auslegung dem Willen des
Gesetzgebers entspreche. Dieser habe mit der Einführung des § 1
Abs. 1b AÜG (mit Wirkung ab dem 01.04.2017) gestatten wollen,
dass der Mitarbeiter im Rahmen der Dreiecksbeziehung mehr als die
im Gesetz geregelten 18 Monate überlassen werden könne und
dürfe. Mit der Einfügung des § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG habe der
Gesetzgeber ermöglichen wollen, das Instrument der
Arbeitnehmerüberlassung weiterhin flexibel und bedarfsgerecht im
Betrieb eines Arbeitgebers einzusetzen. Zu diesem Zweck solle
durch Tarifverträge der Einsatzbranche ermöglicht werden, die
Überlassungsdauer von 18 Monaten zu verkürzen oder auszudehnen
(BT-Drucksache 18/9232, S. 20). Die dadurch beabsichtigte
Flexibilisierung des Einsatzes von Arbeitnehmern, etwa bei
Produktionsspitzen, könne nur erreicht werden, wenn in beiden
Vertragsverhältnissen erlaubt sei, den Arbeitnehmer im Betrieb
des Kunden einzusetzen. Nur damit könne die Rechtsfolge des § 9
Abs. 1 Nr. 1b AÜG i.V.m. § 10 Abs. 1 AÜG vermieden werden.
Lediglich wenn es dem Personaldienstleister und dem Kunden
gestattet sei, den Mitarbeiter länger oder kürzer im Betrieb des
Kunden einzusetzen, bleibe die Ausgewogenheit der Schicksale der
einzelnen Vertragsverhältnisse erhalten und führe zu keinen
unterschiedlichen Rechtsfolgen.
Im
Vertragsverhältnis zwischen dem Personaldienstleister und dem
Kunden (Einsatzverhältnis) gem. § 1 Abs. 1b, HS. 2 AÜG stelle
die tarifliche Bestimmung eine Betriebsnorm nach Ziff. 3 Abs. 2
TVG dar. Unabhängig davon, ob die eingesetzten Zeitarbeitnehmer
Mitglieder der den TV LeiZ schließenden Gewerkschaft seien,
sollten diese länger als die gesetzlichen 18 Monate im
Einsatzbetrieb beschäftigt werden können. Bei der in Ziff. 2.3
TV LeiZ geregelten Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten gehe
es um das Verhältnis zwischen dem Einsatzarbeitgeber und der in
dessen Betrieb für ihn arbeitenden Belegschaft als Kollektiv,
nämlich um die vertraglich mit dem Einsatzarbeitgeber verbundenen
Stammbeschäftigten und die von ihm eingesetzten
Zeitarbeitnehmern. Diese Tarifnorm regele lediglich, dass der
Kunde nicht gegen das Gesetz verstoße, wenn er denselben
Arbeitnehmer länger als 18 Monate in seinem Betrieb einsetze.
Dadurch werde das Vertragsverhältnis zwischen dem jeweiligen
Zeitarbeitnehmer und dessen Arbeitgeber inhaltlich zunächst nicht
betroffen (vgl. Ulrici, § 1 AÜG Rn. 39; Schüren/ Hamann, §
AÜG 1 Rn. 355; Ulber, RdA 2018, 52).
Die
gesetzlich vorgesehene Verlängerung der Überlassungsdauer für
den Vertragsarbeitgeber gem. § 1 Abs. 1b S. 1, HS. 1 AÜG führe
im Vertragsverhältnis zwischen diesem und seinem Arbeitnehmer
aber nicht zu einer inhaltlichen oder den Abschluss oder die
Begründung von Arbeitsverhältnissen bestimmenden Rechtsnorm. §
1 Abs. 1b S. 1, HS. 2 AÜG werde nicht dadurch (auch) zur
Inhaltsnorm, weil diese den Inhalt des Arbeitsverhältnisses
zwischen dem Personaldienstleister und dem Arbeitnehmer i.S.v. §
4 Abs. 1 S. 1 TVG unmittelbar ordne. Der Inhalt des
Arbeitsverhältnisses ändere sich durch diese Norm nicht. Diesem
werde durch § 1 Abs. 1b S.
(...)
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