Dr.
Alexander Bissels und Kira Falter
Der
„Einsatzbegriff“ bei Branchenzuschlagstarifverträgen:
Klärung durch das BAG
Das BAG hat sich in dessen Urteilen vom 22.02.2017 erstmal mit der
Auslegung und Anwendung von Branchenzuschlagstarifverträgen
befassen müssen und mit einem überraschenden „Paukenschlag“
dafür gesorgt, dass Hilfs-/Nebenbetriebe vom fachlichen
Anwendungsbereich des TV BZ ME erfasst werden, wenn diese
überwiegend oder ausschließlich für einen Hauptbetrieb der
Automobilindustrie tätig sind, selbst wenn keine
Inhaberidentität der Betreiber von Hauptund Nebenbetrieb
vorliegt. Dies hat die ganz herrschende Ansicht bislang abweichend
beurteilt (vgl. dazu: Bissels, jurisPR-ArbR 27/2017 Anm. 4;
Bissels, jurisPRArbR 38/2017 Anm. 4).
Nunmehr liegt eine weitere höchstrichterliche Entscheidung aus
Erfurt vor – diesmal zum Begriff des „Einsatzes“, der bei
den Branchenzuschlagstarifverträgen zur Bestimmung der Höhe des
Zuschlags entscheidend ist, und zu dessen Unterbrechung (Urt. v.
21.03.2018 - 5 AZR 862/16). Aus den Ausführungen des BAG dürften
darüber hinaus gehend Ableitungen zu ziehen sein, wie der „Einsatz“
mit Blick auf die Fristen zur Bestimmung der
Überlassungshöchstdauer und zu der Einschlägigkeit des
gesetzlichen equal pay-Anspruchs sowie entsprechende
Unterbrechungen nach der seit dem 01.04.2018 geltenden Rechtslage
zu definieren sind.
I. Inhalt der Entscheidung
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien streiten über die Höhe des Branchenzuschlags nach
dem Tarifvertrag über Branchenzuschläge für Überlassungen von
gewerblichen Arbeitnehmern in der Druckindustrie (nachfolgend: „TV
BZ Druck“) vom 21.02.2013.
Die Klägerin ist seit November 2011 bei der Beklagten, die
Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Zeitarbeitnehmerin
beschäftigt. Ihre monatliche Arbeitszeit beträgt 80 Stunden. Die
Klägerin ist nicht freigestelltes Mitglied des im Betrieb der
Beklagten gebildeten Betriebsrats.
Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher
Bezugnahme der TV BZ Druck Anwendung. Vom 16.09.2014 bis zum
31.05.2015 wurde die Klägerin von der Beklagten – bis auf einen
Einsatz bei der X-GmbH am 22.02.2015 – ausschließlich der
Y-GmbH & Co. KG (nachfolgend auch: „Kunde“) überlassen.
Für die in den Monaten März bis Mai 2015 im Betrieb des Kunden
geleisteten Arbeitsstunden zahlte die Beklagte an die Klägerin
auf das tarifliche Stundentabellenentgelt einen Branchenzuschlag
i.H.v. 8 %. Die Klägerin meint, ihr stehe ein Branchenzuschlag
für die Zeit vom 01.03. bis zum 15.04.2015 i.H.v. 20 % und vom
16.04. bis zum 31.05. 2015 i.H.v. 35 % zu. Die Beklagte ist der
Auffassung, die Klägerin sei bei dem Kunden nicht durchgehend
aufgrund einer Gesamtanforderung eingesetzt worden. Dieser habe
jeweils entsprechend dem Arbeitskräftebedarf kurzfristig eine
bestimmte Zahl von Zeitarbeitnehmern angefordert, die sie (die
Beklagte) abhängig von der individuellen Verfügbarkeit der
Mitarbeiter gestellt habe. Dementsprechend sei jeder Einsatz
orientiert am Bedarf des Kunden und den durch Krankheit, Urlaub
oder Betriebsratstätigkeit bedingten Abwesenheitszeiten der
Klägerin geplant worden. Von einem ununterbrochenen Einsatz
könne auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Klägerin
wegen ihrer geringen vertraglichen Leistungspflichten nicht
regelmäßig an fünf Tagen in der Woche bei dem Kunden tätig
gewesen sei. Bei der Ermittlung der Dauer seien die einzelnen Tage
der Überlassung im Kundenbetrieb zu Einsatzwochen
zusammenzurechnen.
Das BAG bejahte – wie schon das LAG Köln (Urt. v. 02.09.2016 -
10 Sa 330/16) – den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf
Zahlung des erhöhten Branchenzuschlags.
Nach § 2 Abs. 1 TV BZ Druck erhielten Arbeitnehmer bei Vorliegen
der weiteren in § 2 TV BZ Druck genannten Voraussetzungen für
die Dauer ihres ununterbrochenen Einsatzes im Rahmen der
Arbeitnehmerüberlassung in einen Kundenbetrieb der Druckindustrie
einen Branchenzuschlag. Dessen Höhe sei gem. § 2 Abs. 3 TV BZ
Druck durch die zurückliegende Einsatzdauer bestimmt. Diese sei
in der Rückschau unter Beachtung der Vorgaben in § 2 Abs. 2 S.
1, 2 TV BZ Druck i.V.m. der Protokollnotiz festzustellen. Der
Tarifvertrag differenziere dabei zwischen dem ununterbrochenen
Einsatz, vorangegangenen Einsatzzeiten sowie Unterbrechungszeiten
und lege fest, unter welchen Voraussetzungen diese auf die
Einsatzdauer anzurechnen seien.
Als „Einsatz“ i.S.v. § 2 Abs. 2 S. 1 TV BZ Druck sei die
Zeitspanne zu verstehen, in der der Zeitarbeitnehmer an den
Kundenbetrieb überlassen werde und nicht die Summe der Tage, an
denen er im Kundenbetrieb die Arbeitsleistung erbringe. Der
Begriff „Einsatz“ werde in § 2 Abs. 2 S. 1 TV BZ Druck nicht
definiert. Der Wortlaut der Bestimmung habe für sich betrachtet
keinen hinreichend konkreten Regelungsgehalt. Die Verbindung mit
dem Adjektiv „ununterbrochen“ spreche allerdings eher dafür,
dass der Tarifvertrag unter „Einsatz“ nicht einzelne Tage,
sondern die Zeitspanne der Überlassung verstehe. Dieses
Verständnis werde durch die Regelung in § 2 Abs. 3 TV BZ Druck
bestätigt. Der Branchenzuschlag werde danach in Abhängigkeit von
Wochen und Monaten und nicht von Tagen des Einsatzes des
Zeitarbeitnehmers berechnet. Der Tarifvertrag stelle damit auf
Zeitspannen ab, die angesichts der bei jedem Zeitarbeitnehmer
bestehenden zeitlichen Begrenzung der Arbeitspflicht und
zwingender arbeitszeit-, urlaubs-, entgeltfortzahlungs- und
betriebsverfassungsrechtlicher Normen (z.B. §§ 3, 10, 11 ArbZG,
§ 1 BUrlG) nicht nur Arbeitstage, sondern auch arbeitsfreie Tage
und Zeiten einschlössen, zu denen der Zeitarbeitnehmer die
Arbeitsleistung im Kundenbetrieb nicht erbringen könne bzw.
müsse. Das Telos des TV BZ Druck spreche ebenfalls für ein
solches Verständnis. Der Tarifvertrag bezwecke mit dem
Branchenzuschlag eine gestaffelte Heranführung des
Vergütungsanspruchs der Zeitarbeitnehmer an das vergleichbaren
Stammbeschäftigten des Kundenbetriebs zu zahlende Entgelt. Er
orientiere sich an dem Stundenentgelt, das vergleichbaren
Arbeitnehmern des Kundenbetriebs zustehe, indem er nach Maßgabe
von § 2 Abs. 4 TV BZ Druck i.V.m. Protokollnotiz Nr. 3 eine
Beschränkung des Branchenzuschlags auf die Differenz zu 90% des
laufenden regelmäßig gezahlten Stundenentgelts eines
vergleichbaren Arbeitnehmers des Kundenbetriebs vorsehe. Eine
auszugleichende Vergütungsdifferenz bestehe jedoch nicht nur an
den Tagen, an denen der Zeitarbeitnehmer tatsächlich die
Arbeitsleistung im Kundenbetrieb erbringe, sondern während des
gesamten Zeitraums der Überlassung.
Wann der Einsatz „unterbrochen“ sei, bestimme § 2 Abs. 2 TV
BZ Druck nicht ausdrücklich. Der Systematik des Tarifvertrages
sei allerdings zu entnehmen, dass von einer solchen bei einem
zwischen Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer
fortbestehenden Arbeitsverhältnis nur ausgegangen werden könne,
wenn eine Überlassung beendet sei, auf diese eine weitere
Überlassung folge und zwischen den Überlassungen ein Zeitraum
liege, in dem der Zeitarbeitnehmer dem Kundenbetrieb nach Maßgabe
seiner Arbeitspflicht hätte überlassen werden können, aber
nicht überlassen worden sei. Eine „Unterbrechung“ setze
danach zunächst die Beendigung des laufenden Einsatzes voraus.
Diese könne z.B. bei einer zeitlichen Befristung durch Zeitablauf
eintreten, aber auch durch dessen Abbruch durch den
Personaldienstleister oder den Zeitarbeitnehmer herbeigeführt
werden. Fehle es an einem derartigen Beendigungstatbestand, dauere
die Überlassung an. Könne der Zeitarbeitnehmer während einer
laufenden Überlassung wegen einer Krankheit, eines Feiertags,
eines Urlaubs, der Ausschöpfung seines im Arbeitsvertrag mit dem
Personaldienstleister vereinbarten Arbeitszeitvolumens oder
allgemein arbeitsfreier Tagen nicht oder nicht an allen Tagen der
Woche bzw. des Monats eingesetzt werden, führe dies – für sich
genommen, ohne Hinzutreten eines Beendigungstatbestandes – nicht
zu einer Beendigung des Einsatzes. Dies gelte ebenfalls für die
Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben durch den
Zeitarbeitnehmer im Betrieb des Personaldienstleisters. Als
Betriebsratsmitglieder seien Zeitarbeitnehmer auch im Verlauf der
Überlassung verpflichtet, Betriebsratstätigkeiten auszuüben,
soweit sie zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben als
Betriebsrat erforderlich seien. Ebenso könnten sie an Schulungs-
und Bildungsveranstaltungen i.S.v. § 37 Abs. 6 BetrVG teilnehmen.
Sie seien hierfür nach Maßgabe der zwingenden gesetzlichen
Regelung aus § 37 Abs. 2, 6 BetrVG von ihrer beruflichen
Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien. Eine
solche zeitlich begrenzte Aufhebung der Arbeitspflicht bewirke
jedoch keine Unterbrechung des Einsatzes; diese sei vielmehr
sowohl vom Personaldienstleister als auch vom Kunden als Folge von
§ 37 Abs. 2 BetrVG hinzunehmen.
Gem. § 2 Abs. 2 S. 1 TV BZ Druck werde der Branchenzuschlag für
den „ununterbrochenen Einsatz“ gezahlt. Einsatzzeiten vor
einer Unterbrechung seien danach grundsätzlich unbeachtlich. Von
diesem Grundsatz enthält § 2 Abs. 2 S. 2 TV BZ Druck eine
Ausnahme für den Fall, dass die Unterbrechungszeit zwischen dem
laufenden und dem früheren Einsatz drei Monate unterschreite. Der
Tarifvertrag fingiere den Einsatz in diesem Fall als
ununterbrochen fortbestehend. Nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 2 S.
2 TV BZ Druck sei für die Anrechnung allein die Dauer der
Unterbrechung, nicht deren Ursache maßgeblich. Auf einen
möglichen (...)
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