Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Minenfeld
"Vertragsstrafen" – Obacht bei der Gestaltung und der
Geltendmachung!
Klauseln
über die Zahlung von Vertragsstrafen sind in der Praxis weit
verbreitet; diese werden – insbesondere bei Zeitarbeitnehmern
– regelmäßig in den Arbeitsverträgen oder entsprechenden
Zusatzvereinbarungen vorgesehen, gerade für den Nichtantritt der
Arbeit oder für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne
Einhaltung der Kündigungsfrist. Bei der arbeitsvertraglichen
Gestaltung derartiger Klauseln sowie bei deren Geltendmachung und
damit bei der "Realisierung" sind jedoch gewisse
Spielregeln einzuhalten. Erfolgt dies nicht, fällt der
Personaldienstleister mit der vereinbarten Vertragsstrafe aus –
dies zeigt eine aktuelle Entscheidung des LAG München (Urt. v.
15.07.2021 – 3 Sa 35/21; Vorinstanz: ArbG Augsburg v. 15.12.2020
– 7 Ca 1343/20).
I. Zusammenfassung der Entscheidung
Der
beklagte Zeitarbeitnehmer war bei dem klagenden
Personaldienstleister seit dem 01.08.2017 beschäftigt. Nach dem
Arbeitsvertrag bestimmten sich die Rechte und Pflichten der
Arbeitsvertragsparteien nach den zwischen dem Arbeitgeberverband
iGZ und den DBG-Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträgen. Nach
dem damit in Bezug genommenen § 10 MTV iGZ/DGB verfallen
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb
einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber
der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden. Mit
Schreiben vom 09.04.2018 kündigte der Beklagte das
Arbeitsverhältnis ordentlich zum 15.05.2018. Anfang Mai 2018
wurde der Beklagte bei dem Kunden X eingesetzt und lehnte dort den
Einsatz am 04.05.2018 aus im Einzelnen streitigen Gründen ab. Mit
dem am 04.05.2018 zugegangenen Schreiben kündigte der
Personaldienstleister das Arbeitsverhältnis mit sofortiger
Wirkung, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin (aufgrund der
Eigenkündigung des Beklagten wäre dies der 15.05.2018). Des
Weiteren teilte sie in diesem Schreiben mit, den Abzug einer
Vertragsstrafe zu prüfen und diese ggf. mit der letzten
Abrechnung einzubehalten.
Mit
Schreiben vom 19.06.2018 stellte die Klägerin dem Beklagten
„aufgrund Ihrer außerordentlichen Kündigung“ eine
arbeitsvertraglich vereinbarte Vertragsstrafe in Höhe von 30
Bruttoarbeitstagen multipliziert mit 66,44 EUR (7 Std. x 9,49 EUR),
d.h. in Höhe von insgesamt 1.992,90 EUR in Rechnung. Gemäß
eines handschriftlichen Vermerks auf der beigefügten Rechnung vom
15.05.2018 waren hiervon 301,73 EUR und 79,06 EUR als Lohn für
April bzw. Mai 2018 in Abzug zu bringen, so dass sich eine
„Restschuld“ in Höhe von 1.612,11 EUR ergab.
Im
Protokoll der Güteverhandlung vom 11.08.2020 wurde folgende
Erklärung des Beklagten festgehalten
„Der
Klägervertreter erklärt, dass die Vertragsstrafe mit Schreiben
vom 19.06.2018 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht worden
sei. Der Beklagte erklärt, dass er glaube, ein solches Schreiben
erhalten zu haben. Er habe es jedoch nicht mehr.“
Die
Klägerin vertritt die Ansicht, dass die Vertragsstrafe wirksam
sei, ihre Voraussetzungen vorlägen und die Forderung mit
Schreiben vom 19.06.2018 innerhalb der tarifvertraglichen
Ausschlussfrist geltend gemacht worden sei. Es sei nicht
nachvollziehbar, wann der Beklagte aus dessen Wohnung in X-Stadt,
wohin das Schreiben vom 19.06.2018 gesandt worden sei, ausgezogen
sei. Jedenfalls sei der Beklagte an seine Erklärung in der
Güteverhandlung gebunden. Der Beklagte hat erstinstanzlich
bestritten, das Schreiben zur Geltendmachung der Vertragsstrafe
erhalten zu haben. Er sei vom 15.05.2018 bis 31.12.2018 unter der
neuen Anschrift Y in X-Stadt wohnhaft gewesen.
Das
ArbG Augsburg hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen von dem
beklagten Personaldienstleister gerichtete Berufung war
unbegründet, da – so zumindest die Ansicht des LAG München –
der Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe jedenfalls gem. §
10 MTV iGZ/DGB verfallen sei. Eine wirksame Geltendmachung
erfordere, dass der Anspruch nach Grund und Höhe hinreichend
deutlich bezeichnet werde. Der Anspruch müsse so beschrieben
werden, dass der Schuldner erkennen könne, aus welchem
Sachverhalt er in Anspruch genommen werde. Darüber hinaus sei die
Geltendmachung innerhalb der entsprechenden Frist und in der
erforderlichen Form seitens der Klägerin darzulegen, wenn – wie
hier – die Anwendbarkeit der Ausschlussfrist unstreitig sei. Die
fristgerechte Geltendmachung sei nämlich materiellrechtliche
Voraussetzung des Anspruchs.
Danach
habe die Klägerin die rechtzeitige Geltendmachung ihres
behaupteten Anspruchs auf die Zahlung einer Vertragsstrafe nicht
dargelegt und unter Beweis gestellt. Die Klägerin habe diesen
bereits dem Grunde nach nicht hinreichend deutlich bezeichnet. Sie
habe vom Beklagten die Zahlung selbiger wegen einer von ihm
ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung verlangt. Diesen
Sachverhalt behaupte sie nicht mehr. Vielmehr stütze sie die
Vertragsstrafe im hiesigen Verfahren auf § 14 Abs. 1
Spiegelstrich 1, 3 und 8 des Arbeitsvertrags. Hierzu fehle
indessen eine Geltendmachung. Die Klägerin könne sich in diesem
Zusammenhang nicht auf die Empfangsbestätigung des Beklagten auf
dem Kündigungsschreiben vom 04.05.2018 berufen. Im
Kündigungsschreiben sei nämlich lediglich die Prüfung der
Vertragsstrafe angekündigt worden. Dies stelle keine
Geltendmachung im Tarifsinn dar, da einer solchen Erklärung das
unmissverständliche Erfüllungsverlangen fehle.
Auch
habe die Klägerin den Zugang des Schreibens vom 19.06.2018 weder
dargelegt noch unter Beweis gestellt. Sie hat weder vorgetragen,
dass der Beklagte nach dem 19.06.2018 noch unter der im Schreiben
vom 19.06.2018 genannten Anschrift wohnhaft sei, noch dass ein
Postnachsendeantrag bestanden habe. Zudem könne derjenige, der
sich auf den Zugang eines abgesandten Schreibens berufe, nicht
allein vortragen, normalerweise werde ein der Post anvertrauter
Brief auch zugestellt. Sendungen könnten verloren gehen. Der
sonst bei typischen Geschehensabläufen geltende Anscheinsbeweis
sei nicht einschlägig, weil andernfalls der Nachweis des Zugangs
durch den Nachweis der Absendung entgegen der Regelung in § 130
Abs. 1 S. 1 BGB ersetzt werden würde. Schließlich habe die
Klägerin in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass
der Zugang des Geltendmachungsschreibens vom 19.06.2018 nicht
nachgewiesen werden könne.
Eine
andere rechtliche Beurteilung, insbesondere eine Umkehr der
Darlegungs- und Beweislast, ergebe sich auch nicht aus der
Erklärung des Beklagten in der Güteverhandlung, dass er glaube,
das Geltendmachungsschreiben erhalten zu haben. Da die
Fristeinhaltung materielle Voraussetzung für das Bestehen des
behaupteten Anspruchs sei, sei ihre Nichteinhaltung eine
Einwendung, die von Amts wegen zu beachten sei. Die Rechtswirkung
einer hinreichenden Geltendmachung könne nicht im prozessualen
Sinne unstreitig werden. Im Übrigen sei es zulässig, einmal
abgegebene Erklärungen zu berichtigen. Dies nehme auch die
Klägerin für sich in Anspruch, die zunächst in der
Güteverhandlung behauptet habe, den streitgegenständlichen
Anspruch mit Schreiben vom 15.05.2018 geltend gemacht zu haben und
dies später – sogar ohne weitere Erklärung – auf das Datum
des 19.06.2018 korrigiert habe.
II.
Bewertung
Die
Entscheidung des LAG München zeigt auf, dass bei der Realisierung
von Vertragsstrafen – und zwar schon unabhängig von der
AGB-rechtlichen Wirksamkeit – zahlreiche formelle Punkte zu
beachten sind, die dem Personaldienstleister "auf die Füße
fallen können", wenn diese missachtet werden. Der konkrete
Fall ist zwar durch einfallspezifische Besonderheiten geprägt,
zeigt aber auf, dass es elementar ist:
•
den Anspruchsgrund, insbesondere die maßgebliche
Vertragsverletzung, die zur Vertragsstrafe führt, gegenüber dem
Zeitarbeitnehmer zu dokumentieren und darzustellen sowie
•
den Zugang des Schreibens, durch den die Vertragsstrafe geltend
gemacht wird, sicherzustellen, um nicht Gefahr zu laufen, dass
entsprechende Ansprüche aufgrund der vereinbarten arbeitsoder
tarifvertraglichen Ausschluss verfallen.
Letztlich
zeigt das Verfahren deutlich auf, dass es oftmals müßig ist,
Ansprüche auf Vertragsstrafen tatsächlich zu realisieren bzw.
gerichtlich durchzusetzen. Dies gilt erst recht, wenn dies – wie
vorliegend – zumindest in einer optimierbaren Art und Weise
außergerichtlich vorbereitet und begleitet wird. Die Einhaltung
einer gewissen Sorgfalt tut Not, möchte sich der
anspruchsstellende Personaldienstleister – wie in dem
vorliegenden Fall – vor Gericht nicht eine blutige Nase abholen.
Inhaltlich
ist zudem auf eine weitere aktuelle Entscheidung des LAG Sachsen
in Zusammenhang mit der AGB-rechtlichen Wirksamkeit von
Vertragsstrafen hinzuweisen (Urt. v. 24.01.2022 – 1 Sa 345/21).
Die streitgegenständliche Regelung lautete wie folgt:
"Löst
der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis schuldhaft ohne
Rechtsgrund und ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, verpflichtet
er (...)
|