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Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Risiko
des Annahmeverzugslohns und dessen Begrenzung durch das
böswillige Unterlassen anderweitigen Erwerbs aus Arbeitgebersicht
Das
LAG Berlin-Brandenburg hat aufgezeigt, dass Arbeitgeber deren
Risiken auf Zahlung von Annahmeverzugslohn nach einem
Kündigungsschutzrechtsstreit wirksam begrenzen können.
I.
Ausgangslage
Jeder
Arbeitgeber (und damit auch jeder Personaldienstleister) kennt die
Situation nur allzu gut: nach dem Ausspruch eine Kündigung wird
diese von dem betroffenen Arbeitnehmer einer arbeitsgerichtlichen
Prüfung zugeführt, indem eine Kündigungsschutzklage erhoben
wird. Aufgrund der hohen Anforderungen an die (soziale)
Rechtfertigung einer solchen Kündigung ist der Arbeitgeber in der
Regel bestrebt, die Angelegenheit kurzfristig zu beenden, nämlich
durch den Abschluss eines Vergleichs, der die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses gegen die Zahlung einer Abfindung für den
Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Besitzstandes des
Arbeitnehmers vorsieht. Die Vergleichsbereitschaft des
Arbeitgebers ist dabei auch maßgeblich geprägt von (erheblichen)
Annahmeverzugslohnrisiken, die durch einen mehrjährigen
Rechtsstreit mit zwei und ggf. sogar drei Instanzen entstehen
können.
Mit Blick auf diese Ausgangslage steigt oftmals die Bereitschaft
des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer die im Laufe des Verfahrens zu
Lasten des Unternehmens steigenden wirtschaftlichen Risiken durch
ein ggf. sehr großzügiges und oftmals überproportional gut
dotiertes Angebot auf die Zahlung einer Abfindung
"abzukaufen", wenn dafür der
Kündigungsschutzrechtsstreit durch einen Vergleich, der im
Gegenzug dann das Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem
Arbeitsverhältnis vorsieht, beendet wird. Die Alternative,
nämlich die Fortführung des Rechtsstreits im Falle der
Nichteinigung, ist für den Arbeitgeber oftmals – zumindest aus
einer wirtschaftlichen Perspektive – wenig attraktiv, konnte der
Arbeitnehmer doch den Ausgang des Rechtsstreits abwarten und
sodann grundsätzlich den gesamten Annahmeverzugslohn (für den
Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsrist bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Verfahrens) fordern. Dies gilt insbesondere, wenn es
um "teure", oftmals langjährige Mitarbeiter (gerade aus
dem internen Bereich) geht.
II.
Das BAG zeigt den Weg auf …
häufig
auf Arbeitnehmerseite anzutreffenden Muster des schlichten
"Aussitzens" schon im Jahr 2020 Grenzen aufgezeigt (BAG,
Urt. v. 27.05.2020 – 5 AZR 387/19). Nach der genannten
Entscheidung kann der Arbeitgeber gegen einen Arbeitnehmer, der
einen Anspruch auf die Zahlung des Annahmeverzugslohns geltend
macht, Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem
Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge – unter
konkreter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und
Vergütung – verlangen. Das BAG argumentiert, dass es dem
Arbeitgeber nur bei Kenntnis dieser Umstände überhaupt möglich
ist, Indizien vorzutragen, die auf eine Zumutbarkeit von Arbeit
und die Möglichkeit der böswilligen Unterlassung eines
anderweitigen Erwerbs nach § 615 S. 2 BGB hindeuten. Nach den
Grundsätzen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast wäre es
sodann am Arbeitnehmer, seinerseits die maßgeblichen Indizien
dafür zu entkräften und dazu vorzutragen, aus (...)
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Der
EuGH setzt Maßstäbe (EuGH vom 15.12.2022, C-311/21)
Halten
die Tarifverträge der Zeitarbeit dem Equal-Pay-Gebot stand?
Das
EU-Recht stellt Zeitarbeiter unter einen besonderen Schutz,
maßgeblich durch die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG. Dazu
gehört, dass sie grundsätzlich einen Anspruch auf die gleichen
Arbeitsbedingungen haben wie Stammkräfte des Entleihers (Gebot
des Equal Pay und Equal Treatment). Allerdings sieht Art. 5 der
Richtlinie auch Ausnahmen von diesem Gebot vor. Für das deutsche
Recht stellte sich damit die Frage, ob diese nach deutschen
Regelungen geltenden Ausnahmen mit der Richtlinie vereinbar sind.
Diese Fragen legte das Bundesarbeitsgericht dem EuGH vor.
Sachverhalt
In
der Sache ging es um den Einsatz einer Zeitarbeiterin. Diese war
bei einem Verleiher mit einem befristeten Arbeitsvertrag
beschäftigt. Sie wurde einem Unternehmen des Einzelhandels als
Kommissioniererin überlassen. Die Zeitarbeiterin wurde gemäß
dem Tarifvertrag mit einem Bruttostundenlohn von 9,23 Euro
vergütet. Dieser Tarifvertrag wich vom Equal-Pay-Grundsatz ab. Er
sah für Zeitarbeiter ein geringeres Arbeitsentgelt als für
Stammarbeiter vor. Die vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers
erhielten einen Bruttostundenlohn von 13,63 Euro.
Die
Zeitarbeiterin erhob deswegen beim Arbeitsgericht Würzburg Klage
auf den Differenzlohn, den sie erhalten hätte, wenn sie nach dem
Lohntarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im Einzelhandel in
Bayern vergütet worden wäre. Sie berief sich darauf, dass die
einschlägigen Bestimmungen des AÜG und des Tarifvertrags für
Zeitarbeiter nicht mit Art. 5 der Richtlinie 2008/104/EG vereinbar
seien.
Die
Klage wurde in der ersten Instanz zunächst abgewiesen. Im
Anschluss daran legte die Zeitarbeiterin Berufung beim
Landesarbeitsgericht Nürnberg ein. Auch diese wurde
zurückgewiesen. Daraufhin ging die Zeitarbeiterin mit der
Revision zum BAG.
Nach
Ansicht des BAG hing der Ausgang der Revision jedoch von der
Auslegung des Art. 5 der Richtlinie 2008/104/EG ab. Aus diesem
Grund setzte es das Verfahren aus und legte dem EuGH einige Fragen
zur Auslegung vor.
Entscheidung
des EuGH: Wird vom Equal-Pay-Grundsatz abgewichen, muss dies durch
andere Vorteile ausgeglichen werden
Im
Wesentlichen befasste sich der EuGH in seinem Urteil mit dem
Equal-Pay-Grundsatz aus Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG.
Dabei spielte der Begriff des „Gesamtschutzes von Zeitarbeitern“
eine wichtige Rolle.
Nach
Ansicht des EuGH dürfen die Mitgliedstaaten den Tarifparteien
gestatten, Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen.
Mittels dieser Tarifverträge kann vom Equal-Pay-Grundsatz
abgewichen werden. Allerdings besteht nach der Richtlinie auch die
Pflicht, auf den Gesamtschutz der Zeitarbeiter zu achten. Eine
inhaltliche Definition, was darunter zu verstehen ist, fehlt
jedoch in der Richtlinie, weshalb eine Auslegung durch den EuGH zu
erfolgen hat.
Nach
Ansicht des EuGH ist der „Gesamtschutz“ von Zeitarbeitern bei
Abweichung vom Equal-Pay-Grundsatz durch Tarifvertrag nur dann
gewährleistet, wenn ihnen im Gegenzug Vorteile gewährt werden,
die die Auswirkungen dieser Abweichung ausgleichen sollen.
Dabei
genügt nicht jede Art von Vorteil. Ein Vorteil gleicht nur dann
einen Nachteil aus, wenn er sich auf die in Art. 3 Abs. 1 Buchst.
f der Richtlinie 2008/104 definierten wesentlichen Arbeits- und
Beschäftigungsbedingungen bezieht. Dies sind die Dauer der
Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit,
Urlaub, arbeitsfreie Tage und das Arbeitsentgelt. Dabei
unterscheidet der EuGH zwischen unbefristet beschäftigten und
befristet beschäftigten Zeitarbeitern. Soweit sie unbefristet
beschäftigt sind, lässt sich nach dem EuGH nicht ausschließen,
dass die Entgeltfortzahlung in verleihfreien Zeiten bei der
Beurteilung dieses Gesamtschutzes berücksichtigt werden kann.
Für befristet beschäftigte Zeitarbeiter gilt dies hingegen
nicht.
Wenn
die Tarifparteien also durch einen Tarifvertrag Abweichungen vom
Equal-Pay-Grundsatz zum Nachteil von Zeitarbeitern zulassen,
müssen ihnen zugleich Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits-
und Beschäftigungsbedingungen gewährt werden. Diese müssen
geeignet sein, ihre Ungleichbehandlung (...)
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Dr.
Robert Bauer
Arbeitszeiterfassung
– kann oder muss?
Ein
unbekanntes Thema ist es nicht gerade, die Erfassung von
Arbeitszeit. Schon lange findet sich im Arbeitszeitgesetz die
Pflicht zur Aufzeichnung von Überstunden und gerade bei den
Zeitarbeitnehmern wird die Arbeitszeit schon aus Gründen der
nachvollziehbaren Rechnungsstellung gegenüber den Kunden
aufgezeichnet. Dass der EuGH 2019 in einer Entscheidung zu
verstehen gegeben hat, dass die bisherigen nationalen Regelungen
zur Arbeitszeiterfassung wohl nicht ausreichen dürften, hat
hingegen vermutlich nur Juristen interessiert. Immerhin betraf die
Kritik im Ergebnis eher den Gesetzgeber und nicht den einzelnen
Rechtsanwender. Die allgemeine Erwartungshaltung war, dass der
Gesetzgeber als Reaktion auf die Entscheidung des EuGH das Thema
der Arbeitszeiterfassung zeitnah in einem Gesetz regeln werde. Bis
dahin könne man abwarten.
Das
Bundesarbeitsgericht (BAG) sah das offenbar anders und hat mit
seiner Entscheidung von Ende letzten Jahres zu einem unangenehmen
Erwachen geführt. Das BAG ist der Ansicht, dass es bereits heute
(und im Ergebnis sogar seit 1996) eine allgemeine Pflicht zur
Aufzeichnung der (gesamten) Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers gäbe.
Damit ist es nicht nur nicht länger möglich, auf eine
gesetzliche Regulierung dieses Themas zu warten, sondern alle
Arbeitgeber ohne vollständige Arbeitszeiterfassung ihrer gesamten
Belegschaft verstoßen faktisch seit über 25 Jahren gegen
bestehende Vorgaben.
Die
Begründung, die das BAG für seine Entscheidung wählt, wird
dabei durchaus stark kritisiert. So leitet das BAG die Pflicht zur
Arbeitszeiterfassung nicht aus dem Arbeitszeitgesetz her, sondern
aus einer Generalklausel des Arbeitsschutzgesetzes. Diese
Generalklausel setzt jedoch üblicherweise eine individuelle
Gefährdungsbeurteilung durch jeden einzelnen Arbeitgeber voraus,
aus der sich sodann im Einzelfall Maßnahmen zur Gefahrenabwehr
ergeben können. Auch wenn es im Ergebnis unbestritten ist, dass
das Thema Arbeitszeit den Bereich des Arbeitsschutzes betrifft, so
lässt sich die vom BAG ausdrücklich gewollte umfassende Pflicht
zur Arbeitszeiterfassung, die für jeden Arbeitgeber gelten soll,
nicht ohne Systembruch mit der vom BAG bemühten Generalklausel
begründen. Denn Unternehmen, in denen die Gefahr eines
Arbeitszeitverstoßes nahezu ausgeschlossen ist (beispielsweise
ein Café, welches nur von 14:00 bis 18:00 geöffnet hat), würden
üblicherweise im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu dem
Ergebnis kommen, dass keine Erforderlichkeit besteht, die
Arbeitszeit der Arbeitnehmer zur Vermeidung von Verstößen gegen
die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten aufzuzeichnen. Dieses
Ergebnis lässt das BAG jedoch nicht zu.
Ob
man die Begründung des BAG nun überzeugend findet oder nicht,
ist für den Praktiker kaum von Bedeutung. Solange das BAG als
oberstes deutsches Arbeitsgericht an seiner Rechtsprechung
festhält, wird man sich faktisch an die Vorgaben halten müssen.
Eine Schonfrist gibt es nicht. Das BAG legt jedoch nur die groben
Anforderungen an das einzuführende Zeiterfassungssystem fest:
Einerseits muss der Arbeitgeber ein solches bereitstellen,
andererseits ist eine elektronische Zeiterfassung nicht zwingend
erforderlich.
Wenn
bereits ein System verwendet wird, muss sichergestellt werden,
dass dieses objektiv, verlässlich und zugänglich eine
manipulationsfreie Arbeitszeiterfassung ermöglicht.
Nachbesserungsbedarf ergibt sich zum Beispiel, wenn einzelne
Arbeitnehmergruppen von der Arbeitszeiterfassung ausgenommen sind
oder wenn das System nicht manipulationsfrei wäre. Gibt es noch
kein System, so muss in einem ersten Schritt geprüft werden,
welches System geeignet ist. Eine elektronische Zeiterfassung mag
praktisch sein, ist aber nicht immer die beste Lösung. Eine
Excel-Tabelle oder gar eine klassische Karteikarte kann (...)
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