Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Erneut
vor Gericht – die vorgebliche Unzulässigkeit eines
Erlaubnisinhabers!
Bekanntermaßen
kann eine bereits erteilte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis
widerrufen werden, wenn sich der Erlaubnisinhaber als
unzuverlässig erweist (vgl. § 5 AÜG). Bei einer nur befristeten
Erlaubnis nach § 1 AÜG kann aus den gleichen Gründen eine
beantragte Verlängerung versagt werden (§ 3 Abs. 1 AÜG). Die BA
als zuständige Prüfbehörde entscheidet darüber, ob ein
Erlaubnisinhaber zuverlässig ist oder nicht. Da die
Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis für einen
Personaldienstleister regelmäßig existenziell ist, zumindest
wenn der wirtschaftliche Schwerpunkt seiner Tätigkeit
überwiegend oder ausschließlich in der Überlassung, zu verorten
ist, entsteht in der Praxis regelmäßig Streit darüber, ob die
BA zu einer entsprechenden Maßnahme berechtigt war – dies auch
vor dem Hintergrund, dass sich die "Aktivitäten" der
Behörde in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren nicht
unerheblich erhöht haben. Hinzu kommt, dass ein gegen einen
Versagungs- oder Widerrufsbescheid eingelegtes Rechtsmittel (hier:
Widerspruch und Klage) keine aufschiebende Wirkung hat. Der
Personaldienstleister ist daher regelmäßig auf die
Inanspruchnahme von einstweiligem Rechtsschutz angewiesen, möchte
dieser seinem Geschäft weiter nachgehen können.
Mit
einem interessanten Fall musste sich das LSG Hamburg –
allerdings in einem Hauptsacheverfahren – kürzlich befassen.
Das Gericht entschied – um es vorwegzunehmen –
erfreulicherweise zugunsten der Klägerin und erteilte die
beantragte Erlaubnis, obwohl diese über einen längeren Zeitraum
illegal Arbeitnehmer überlassen hat (vgl. LSG Hamburg v.
06.04.2022 – L 2 AL 17/21; Az. der Vorinstanz: S 14 AL 486/19).
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
Die
von der Klägerin eingelegte Berufung erwies sich als begründet,
da sich die Bescheide vom 03.09.2019 und vom 01.03.2021, mit denen
die BA dieser die Erteilung einer Erlaubnis zur
Arbeitnehmerüberlassung versagt hat, rechtswidrig seien. Das
einmalige Fehlverhalten der Klägerin in der Vergangenheit
rechtfertige – so die Ansicht des LSG Hamburg – angesichts der
im Übrigen beanstandungsfreien Erfüllung ihrer Berufspflichten
nicht die Prognose, sie sei unzuverlässig. Da keine Tatsachen
feststünden, die die Prognose der Unzuverlässigkeit der
Klägerin rechtfertigten, habe diese einen Anspruch auf Erteilung
der beantragten Erlaubnis.
Gem.
§ 1 Abs. 1 AÜG sei die Arbeitnehmerüberlassung grundsätzlich
nur mit einer Erlaubnis zulässig. Auf deren Erteilung bestehe ein
Rechtsanspruch, wenn keine Versagungsgründe vorlägen. Diese
ergäben sich aus § 3 AÜG. Danach sei die Erlaubnis zu versagen,
wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Antragsteller
-
die für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG erforderliche
Zuverlässigkeit nicht besitze, insbesondere weil er die
Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Einbehaltung
und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über
die Anwerbung im Ausland, die Ausländerbeschäftigung, über die
Arbeitserlaubnis, die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder
die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhalte,
-
nach der Gestaltung seiner Betriebsorganisation nicht in der Lage
sei, die üblichen Arbeitgeberpflichten ordnungsgemäß zu
erfüllen oder
-
dem Zeitarbeitnehmer die ihm nach § 8 AÜG zustehenden
Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts nicht
gewähre.
§
3 Abs. 1 AÜG zähle nur Beispielsfälle für die mangelnde
Zuverlässigkeit für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG
auf („insbesondere“). Zur Auslegung sei auch der Zweck der
Vorschrift als präventive Zugangsschranke heranzuziehen. Dieser
sei es, im Interesse der Sicherheit des sozialen Schutzes der
Zeitarbeitnehmer unzuverlässige Personaldienstleister aus dem
Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung
auszuscheiden (BTDrucksache VI/2303, S. 9, 11).
Der
Versagungsgrund der Unzuverlässigkeit stelle einen gerichtlich
nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff dar. Maßgebend sei
hierbei eine Prognose für die Zukunft, also ein aus den
vorhandenen tatsächlichen Umständen der Vergangenheit und der
Gegenwart gezogener Schluss auf ein wahrscheinliches zukünftiges
Verhalten der Antragstellerin. Maßgebender Zeitpunkt für die
Prüfung der Sachund Rechtslage sei hinsichtlich des
Verpflichtungsbegehrens im Hauptsacheverfahren der Schluss der
mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz (hier: in
der Berufung). Führe die Prognose zu keinem klaren Ergebnis, gehe
dies zu Lasten der Erlaubnisbehörde. Zu berücksichtigen sei,
dass bei der Erlaubnisprüfung und -versagung zugunsten der
Behörde eine Beweiserleichterung gelte; sie müsse – in einem
Klageverfahren – nicht das Vorliegen des Versagungsgrundes
selbst beweisen, sondern nur die Tatsachen dartun, die eine solche
Annahme rechtfertigten ("wenn Tatsachen die Annahme
rechtfertigen").
Vorliegend
sei der Vorfall, aus dem die BA den Versagungsgrund ableite,
unstreitig. Die genauen Umstände, wie es dazu gekommen sei, dass
die Klägerin den Verlängerungsantrag seinerzeit nicht abgegeben
habe, seien aber ungeklärt und ließen sich nicht mehr
vollständig aufklären. Während die Klägerin angebe, ihr
Geschäftsführer habe den Antrag unterzeichnet und selbiger sei
dann durch ein Büroversehen nicht abgeschickt worden, habe die
Beklagte wegen der Begründung des Antrages vom 18.06.2018
behauptet, dass die Klägerin bewusst keinen Verlängerungsantrag
gestellt und sehenden Auges trotzdem die Überlassungstätigkeit
weitergeführt habe. Dagegen spreche jedoch, dass kein Grund
erkennbar sei, weshalb die Klägerin, die vor und nach diesem „erlaubnislosen“
Jahr stets eine Erlaubnis beantragt und erhalten habe, dies
bewusst und unter Inkaufnahme eines hohen Risikos unterlassen
haben sollte. Das LSG Hamburg geht vor diesem Hintergrund nicht
davon aus, dass die Klägerin die Erlaubnis bewusst, also
vorsätzlich, nicht habe verlängern lassen. Dafür sei auch das
erst im Rahmen der Betriebsprüfung eingestandene Versäumnis kein
stichhaltiges Indiz. Eher sei anzunehmen, dass der Klägerin der
Fehler erst in diesem Zusammenhang aufgefallen sei.
Der
Beklagten sei zuzugeben, dass die Arbeitnehmerüberlassung ohne
Erlaubnis an sich eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstelle.
Gesetzesverstöße im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG führten
grundsätzlich zur Annahme der Unzuverlässigkeit des
Personaldienstleisters, wenn sie sich gegen Kernpflichten
richteten, die dem Verleiher gegenüber den Zeitarbeitnehmern
oblägen. Ein solches Verhalten lasse befürchten, dass er sein
Gewerbe nicht in Einklang mit den bestehenden rechtlichen
Vorschriften ausüben werde. Zwar treffe es zu, dass sowohl der
Überlassungs- als auch der Arbeitsvertrag unwirksam seien (§ 9
Nr. 1 AÜG). Der Zeitarbeitnehmer sei aber gleichwohl nicht
schutzlos, da in diesem Fall nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG ein
Arbeitsverhältnis zwischen dem Kunden und Zeitarbeitnehmer als
zustande gekommen fingiert werde.
Hiesig
sei zudem von Bedeutung, dass sich die Klägerin nicht in
bedenkenloser Weise über die Erlaubnispflicht hinweggesetzt,
sondern es lediglich in einem Jahr versäumt habe, die bereits
erteilte Erlaubnis verlängern zu lassen. Während bewusste
Pflichtverstöße als Indiz für die Wiederholungsgefahr
berücksichtigt werden könnten, sei einmaligen fahrlässigen
Verstößen eine solche Indizwirkung nicht zuzuschreiben. Da die
Erlaubnispflicht dem Schutz der Zeitarbeitnehmer diene, komme es
für die Prognose der Unzuverlässigkeit maßgebend und vor allem
darauf an, ob der Sozialversicherungsschutz sowie die Sicherung
von Kündigungsschutz sowie Lohn- und Urlaubsansprüchen
gewährleistet worden seien. Zum Kernbereich zählten die
Vergütung, Ansprüche auf Erholungsurlaub und sonstige Ansprüche
auf geldwerte Leistungen. Verhaltensweisen der Klägerin, die dies
in Frage stellen würden, seien jedoch nicht bekannt geworden.
Wenn der soziale Schutz der Zeitarbeitnehmer in keiner Weise
gefährdet werde, werde man in der Regel bei einer einmaligen
Verletzung der Pflichten des Arbeitgebers eine Versagung der
Erlaubnis nicht rechtfertigen können (vgl. LSG Niedersachsen-
Bremen v. 27.06.2018 – L 7 AL 22/18 B ER). So liege es hier.
Eine Gefährdung des Sozialschutzes der überlassenen Arbeitnehmer
sei – abgesehen von der Folge der fehlenden Erlaubnis in der
Zeit vom September 2017 bis September 2018 – nicht vorgetragen
worden; eine solche sei sonst ebenfalls nicht ersichtlich.
Insoweit komme den von der Klägerin vorgelegten elf
Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Finanzverwaltung und von
verschiedenen Sozialversicherungsträgern aus der Zeit zwischen
2017 und 2021 Bedeutung zu.
Für
die Frage der Zuverlässigkeit sei nicht allein auf den Zeitpunkt
der erstmaligen Antragstellung abzustellen. Der Antrag gelte
vielmehr bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die
Erlaubnis, ggf. in einem gerichtlichen Verfahren, als fortlaufend
gestellt. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das
Gericht komme es bei der vorliegenden Verpflichtungsklage auf den
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an (vgl. BSG v.
15.03.1995 – 6 RKa 23/94). Da
abgesehen von der erlaubnislosen Arbeitnehmerüberlassung im Jahr
2017 bis 2018 kein Fehlverhalten der Klägerin bekannt geworden
sei, habe die Berufung Erfolg, da (...)
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