Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Überraschendes
aus Erfurt: Keine Fiktion eines Arbeitsverhältnisses bei einer
illegalen grenzüberschreitenden Überlassung
Wird
ein Mitarbeiter an einen Kunden überlassen, ohne dass der
Dienstleister über die dafür erforderliche Erlaubnis nach § 1
AÜG verfügt, wird ohne und sogar gegen den Willen der
Beteiligten ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und
dem Kunden begründet. Der Arbeitsvertrag zwischen dem
Dienstleister und dem Mitarbeiter ist unwirksam (§§ 9 Abs. 1 Nr.
1, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG). Die Arbeitnehmerüberlassung ist illegal
und wird auf individualvertraglicher Ebene – wie oben
beschrieben – sanktioniert. Dies gilt jedenfalls bei rein
inländischen Sachverhalten. Offen und bislang nicht
höchstrichterlich geklärt war, ob dies bei
grenzüberschreitenden Konstellationen ebenfalls gilt. Diese Frage
hat das BAG jüngst erfreulicherweise und überzeugend verneint
(Urt. v. 26.04.2022 – 9 AZR 228/21; a.A. noch die Vorinstanz:
LAG Baden- Württemberg v. 09.04.2021 – 12 Sa 15/20).
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
In
der vorliegenden Pressemitteilung des BAG wird der Sachverhalt wie
folgt zusammengefasst (abrufbar unter: https://www.bundesarbeitsgericht.
de/presse/unerlaubtearbeitnehmerueberlassung- auslandsbezug/):
Die
Klägerin ist französische Staatsangehörige und hat ihren
Wohnsitz in Frankreich. Sie wurde von einer Gesellschaft, die
ihren Sitz in Frankreich hat, zum 01.10.2014 als Fachberaterin/
Ingenieurin eingestellt. Das Arbeitsverhältnis unterliegt kraft
Rechtswahl französischem Recht. Vom 01.10.2014 bis zum 30.04.2016
wurde die Klägerin von ihrer Arbeitgeberin, die nicht im Besitz
einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG war,
im Betrieb der Beklagten in Karlsruhe als Technikerin/Beraterin
eingesetzt. Nachdem die Klägerin anschließend bei anderen Kunden
der Arbeitgeberin tätig war, kündigte diese das
Arbeitsverhältnis. In einem gerichtlichen Verfahren in Frankreich
macht die Klägerin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses
geltend.
Mit
der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin festzustellen, dass
sie zur Beklagten seit dem 01.10.2014 in einem Arbeitsverhältnis
steht, und verlangt außerdem Differenz-, Überstunden- und
Annahmeverzugsvergütung. Sie hat im Wesentlichen die Auffassung
vertreten, zwischen den Parteien sei gem. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG
zum 01.10.2014 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande
gekommen. Sie sei der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen
worden. Der Arbeitsvertrag mit ihrer Arbeitgeberin sei, obwohl
für das Arbeitsverhältnis französisches Recht gelte, in
Deutschland infolge der unerlaubten Überlassung nach § 9 Nr. 1
AÜG unwirksam. Bei der Bestimmung handele es sich um eine
Eingriffsnorm im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Rom I-VO, die
unabhängig von der von den Arbeitsvertragsparteien getroffenen
Rechtswahl gelte.
Das
LAG Baden-Württemberg hat der Klage – anders als noch die erste
Instanz – überwiegend stattgegeben. Die Revision der Beklagten
hatte vor dem BAG hingegen Erfolg. Die Feststellungs- und
Zahlungsklage sei – so der 9. Senat in Erfurt – unbegründet,
weil zwischen den (...)
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