Überschreitung
des Koalitionsvertrages durch den geplanten § 611a BGB
„Wer den Hafen nicht kennt, in den er Segeln will, für den
ist kein Wind der richtige“ – Seneca
Zeitarbeits- und Werkunternehmen sowie Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände - alle waren gespannt auf den neuen
Gesetzesentwurf des BMAS zur „strengeren Regulierung von
Leiharbeit und Werkverträgen“ - nun ist es soweit und die
Enttäuschung ist abermals groß. Die mehrfache Ankündigung von
Frau Nahles „über den Koalitionsvertrag werde sie nicht
hinausgehen“ (Handelsblatt 14.07.2015), wurde zum Bedauern aller
durch den Referentenentwurf vom 16.11.20151 nicht
eingehalten. Insbesondere die Zielsetzung der Regelung der
Abgrenzung des Fremdpersonaleinsatzes wurde nicht richtig erfasst,
sodass der Entwurf gänzlich am Ziel vorbei steuert. Nicht nur die
Regelung des § 611a BGB an sich leidet an massiven Mängeln (Teil
eins), sondern auch die fehlerhafte Begründung verursacht
Verwirrung hinsichtlich der Anwendbarkeit der Norm (Teil zwei).
Teil eins:
Die fehlerhafte Regelung eines neuen § 611a BGB
1. Änderung der Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit
und Arbeitsleistung
Überraschend und am Koalitionsvertrag vorbei, ist die neue
rechtliche Gestaltung der Scheinselbstständigkeit, deren
Abgrenzungsfrage, nicht Kernthema des Koalitionsvertrages war.
Vielmehr ging es um die Abgrenzung Werkvertrag und
Arbeitnehmerüberlassung bei Werkunternehmen in der
Dreieckskonstellation. Nunmehr wurde lediglich das
Zweipersonenverhältnis reguliert (siehe Teil 2). Mit dem
Koalitionsvertrag hat dies nicht mehr viel zu tun. Art. 2 des
Gesetzesentwurfs sieht eine Änderung des Bürgerlichen
Gesetzbuches in § 611a vor, der den Arbeitsvertrag als besondere
Gestaltungsform des Dienstvertragsrechts regeln soll. Danach wird
ein Arbeitsvertrag angenommen, wenn es sich bei den
zugesagten Leistungen um Arbeitsleistungen handelt. Was
als Arbeitsleistungen gilt, wird in § 611a Abs. 1
S. 2 BGB dahingehend zum Ausdruck gebracht, dass jemand Dienste
erbringt und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation
eingegliedert ist und Weisungen unterliegt. In einer
weiteren Konkretisierung werden Kriterien festgelegt, welche
anhand einer Gesamtbetrachtung zur Qualifizierung beitragen
sollen.
Im Folgenden sollen die fehlenden Überlegungen in der Neuregelung
des § 611a BGB aufgezeigt und mögliche Konsequenzen dargestellt
werden, welche bei Übernahme in das Gesetz drohen würden.
2. Erstmalige gesetzliche Definition des Arbeitnehmerbegriffes
§ 611a BGB stellt klar, wann ein Arbeitsvertrag vorliegt und was
als Arbeitsleistung zu qualifizieren ist. Dadurch stellt das
Gesetz erstmals einen Grundtatbestand des Arbeitnehmerbegriffes
auf, der im Individualarbeitsrecht umfassend Geltung erlangen
könnte. Eine solche Regelung könnte somit substantiell das
Arbeitsrecht modifizieren und nicht nur die Abgrenzungsfrage.
Bislang wurde in der Gesetzgebung darauf verzichtet, die
Arbeitsleistung derart gesetzlich zu verankern, da es
Schwierigkeiten bereitet, eine abstrakte für alle Arbeitnehmer
geltende Definition aufzustellen.2 Es besteht die ganz
herrschende Meinung, dass im Arbeitsrecht ein einheitlicher
Arbeitnehmerbegriff anzuwenden ist.3 So bleibt die
Frage, inwieweit sich das BMAS Gedanken gemacht hat, welche
Reichweite und Relevanz die Regelung der Arbeitsleistung haben
wird. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Hoffnung bestand,
durch die Qualifizierung des „Arbeitsvertrages“ anstatt des
„Arbeitsverhältnisses“ dieses Thema zu umgehen, was jedoch
misslang. Vielmehr könnte durch den Vorschlag ein
Spannungsverhältnis zwischen den beiden Begriffen begründet
werden.
Die neu geplante Legaldefinition verlangt nunmehr die
Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und die
Weisungsunterworfenheit des Arbeitnehmers. Dies soll in § 611a
Abs. 2 BGB anhand von verschiedenen Kriterien konkretisiert
werden. Allerdings wird nunmehr der Arbeitsvertrag durch die
Eingliederung und Weisungsunterworfenheit maßgeblich definiert.
Es wird dabei übersehen, dass eine typologische Betrachtung zu
unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Als Beispiel kann
angeführt werden, dass nicht jede Weisung eine arbeitsrechtliche
ist, sondern durchaus auch fachliche Weisungen im Rahmen eines
Werkvertrages möglich sind. Dies kommt durch eine Definition
gerade nicht heraus. Richtigerweise wurde daher bislang in der
Rechtsprechung auf den Grad der persönlichen Abhängigkeit
abgestellt,4 was in der Neuregelung keine Erwähnung
findet. Daher ist es empfehlenswert, sich abermals die
Konsequenzen einer einheitlichen Definition vor Augen zu führen
und den geplanten § 611a BGB auf dessen Grundlage hin kritisch zu
überarbeiten.
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