Dr.
Alexander Bissels und Kira Falter
Anwendung
des Konzernprivilegs gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG – (k)ein Buch
mit sieben Siegeln?!
In
§ 1 Abs. 3 AÜG hat der Gesetzgeber Privilegierungen geschaffen,
bei denen de facto eine Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt
wird, die jedoch von der Anwendung der wesentlichen Bestimmungen
des AÜG befreit werden. Im Rahmen der AÜG-Reform 2017 wurde der
Katalog in § 1 Abs. 3 AÜG um drei auf insgesamt sechs
Tatbestände erweitert, nämlich durch § 1 Abs. 3 Nr. 2a bis 2c
AÜG. U.a. wurde die gerade im öffentlichen Dienst verbreitete
Personalgestellung auf Grundlage des TVöD erfasst.
Für
die Praxis ist dabei insbesondere das sog. Konzernprivileg nach §
1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG von Interesse. Eine solche liegt vor, wenn
eine Überlassung zwischen Konzernunternehmen nach § 18 AktG
erfolgt und der eingesetzte Mitarbeiter nicht zum Zweck der
Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Wie dieser
Tatbestand im Einzelnen ausgelegt wird, ist in der Praxis – auch
mangels höchstrichterlicher Entscheidungen – hoch umstritten.
Vor diesem Hintergrund verdient ein aktuelles Urteil des LAG
Düsseldorf Aufmerksamkeit, das sich jüngst mit einem Fall
befassen musste, in dem es – neben der Abgrenzung der
Arbeitnehmerüberlassung von einem Werk-/ Dienstvertrag –
ergänzend um die um Anwendung des Konzernprivilegs gem. § 1 Abs.
3 Nr. 2 AÜG ging (Urt. v. 25.01.2021 - 9 Sa 536/20).
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
Das
LAG Düsseldorf führt dazu wie folgt aus:
Sei
der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Zeitarbeitnehmer
nach § 9 AÜG unwirksam, gelte ein Arbeitsverhältnis zwischen
Entleiher und Zeitarbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und
dem Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen
Zeitpunkt als zustande gekommen (§ 10 AÜG). Insoweit sei
erforderlich, dass ein Unwirksamkeitsgrund des § 9 AÜG vorliege.
Hier benenne § 9 AÜG die zwischen Verleiher und Zeitarbeitnehmer
unerwünschten Vertragsgestaltungen und erkläre derartige
Verträge für unwirksam. Dies wiederum setze allerdings voraus,
dass überhaupt ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vorliege.
Der Kläger müsse also im Rahmen seines mit der X GmbH
bestehenden Arbeitsverhältnisses von dieser an die Beklagte
überlassen worden sein. Kennzeichnendes Element der
Arbeitnehmerüberlassung sei ein Dreiecksverhältnis: ein
Arbeitnehmer werde aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarung
durch seinen Arbeitgeber bei einem Dritten beschäftigt.
Arbeitnehmer würden zur Arbeitsleistung überlassen, wenn sie in
die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert seien und
seinen Weisungen unterlägen.
Nach
der ständigen Rechtsprechung des BAG sei nicht jeder
drittbezogene Arbeitseinsatz eine Arbeitnehmerüberlassung nach
dem AÜG. Diese sei vielmehr durch eine spezifische Ausgestaltung
der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher
einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen
Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag)
sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung
zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet (vgl. nur: BAG
v. 27.06.2017 - 9 AZR 133/16). Notwendiger Inhalt eines
Arbeitnehmerüberlassungsvertrags sei die Verpflichtung des
Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von
dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Von
der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden sei die Tätigkeit
eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder
Dienstvertrags. In diesen Fällen werde der Unternehmer für einen
anderen tätig. Er organisiere die zur Erreichung eines
wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen
betrieblichen Voraussetzungen und bleibe für die Erfüllung der
in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des
geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich.
Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten
Arbeitnehmer unterlägen den Weisungen des Unternehmers und seien
dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller könne jedoch, wie
sich aus § 645 Abs. 1 S. 1 BGB ergebe, dem Werkunternehmer selbst
oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung
des Werkes erteilen. Entsprechendes gelte für Dienstverträge.
Solche Dienst- oder Werkverträge würden vom AÜG nicht erfasst.
Ein
Arbeitnehmer, der die vertraglichen Vereinbarungen zwischen seinem
Vertragsarbeitgeber und dem Dritten nicht kenne, müsse Tatsachen
vortragen, die eine Würdigung rechtfertigten, nach der der
Arbeitnehmer einem Entleiher zur Arbeitsleistung überlassen sei.
Es sei dann Aufgabe des Entleihers, die Tatsachen darzulegen, die
gegen das Vorliegen des Tatbestands aus § 1 Abs. 1 AÜG
sprächen. Er genüge seiner Darlegungslast, wenn er die eine
werkvertragliche Vereinbarung begründenden Tatsachen vortrage. In
diesem Fall sei es nunmehr Sache des Arbeitnehmers, die Kenntnis
der auf Seiten der beteiligten Arbeitgeber handelnden und zum
Vertragsabschluss berechtigten Personen von der tatsächlichen
Vertragsdurchführung vorzutragen.
Auf
dieser Grundlage habe der Kläger mit seinem tatsachenarmen
Sachvortrag nicht einmal ansatzweise die ihm aufgrund der
zutreffenden Rechtsprechung des BAG obliegende Darlegungslast
erfüllt [Anm.: wird weiter ausgeführt].
Zudem
greife das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ein. Selbst
wenn also zwischen der Beklagten und der X GmbH ein Fall von
Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen hätte, was nicht der Fall
sei, wäre dies aufgrund des Konzernprivilegs tatbestandslos. Es
gebe dabei Bereiche, in denen es der Beschränkungen und
Kontrollen nach dem AÜG nicht bedürfe, da eine Gefährdung der
sozialen Sicherheit der Zeitarbeitnehmer und eine Störung des
Arbeitsmarkts ausgeschlossen werden könne. Insofern seien in § 1
Abs. 3 AÜG sechs Fälle geregelt, in denen zwar tatbestandlich
eine Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen einer wirtschaftlichen
Tätigkeit vorliege, der Gesetzgeber jedoch angeordnet habe, dass
die Vorschriften des AÜG grundsätzlich keine Anwendung fänden.
Es handele sich um eine gesetzliche Fiktion; inhaltlich gehe es um
Fälle der Arbeitnehmerüberlassung. Das AÜG sei nach § 1 Abs. 3
Nr. 2 AÜG nicht anwendbar, wenn ein Unternehmen Arbeitnehmer an
eine andere Gesellschaft desselben Konzerns überlasse und der
Arbeitnehmer nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und
beschäftigt werde. Das Konzernprivileg solle zwischen
konzernverbundenen Unternehmen Flexibilität schaffen, z.B. um auf
einen schwankenden Personalbedarf reagieren zu können.
Da
die beteiligten Gesellschaften unstreitig den aktienrechtlichen
Konzernbegriff gem. § 18 AktG erfüllten, weil die X GmbH über
die Beklagte unter der einheitlichen Leitung des herrschenden
Unternehmens zusammengefasst sei, komme es darauf an, dass der
Kläger als der überlassene Arbeitnehmer nicht zum Zweck der
Überlassung eingestellt und beschäftigt werde. Auch wenn sich
die Formulierung seit dem 01.12.2011 geändert habe, solle die
Ausnahmeregelung – wie bisher – den vorübergehenden Einsatz
von Arbeitnehmern bei anderen Konzernunternehmen ohne
Überlassungserlaubnis ermöglichen. Durch das Konzernprivileg
würden dagegen dauernde Entsendungen von Arbeitnehmern von einem
Konzernunternehmen zu einem anderen bzw. reine Verleihunternehmen
in einem Konzern nicht von der Anwendung des AÜG ausgenommen.
Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassungen durch
Personalführungsgesellschaften sollten nicht privilegiert werden.
Aufgrund der Formulierung des Gesetzes komme es nicht allein auf
den bei Abschluss des Arbeitsvertrags festgelegten Leistungsinhalt
an, sondern auch darauf, dass der Arbeitnehmer später nicht zum
Zwecke der Überlassung beschäftigt werde. Damit scheide die
Anwendung des Konzernprivilegs aus, wenn der Arbeitgeber das Ziel
habe, den Arbeitnehmer ausschließlich an andere
Konzernunternehmen zu überlassen, ohne jemals wieder bei dem
Vertragsarbeitgeber (Verleiher) tätig zu werden. Dabei sei es
unerheblich, ob dies bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses
geplant gewesen sei oder sich dieser Umstand erst später nach der
Einstellung ergeben habe. Werde der Arbeitnehmer dagegen auch
(aber nicht ausschließlich) zum Zwecke der Überlassung
eingestellt oder beschäftigt, sei dies unschädlich und wie
bisher erlaubnisfrei möglich.
Hiesig
sei nicht ersichtlich, dass der Kläger ausschließlich zum Zwecke
der Überlassung eingestellt worden sei. Offensichtlich sei
jedenfalls aufgrund des vorliegenden schriftlichen Arbeitsvertrags
ein Arbeitseinsatz für die X GmbH (und damit den
Vertragsarbeitgeber) geplant gewesen. Insoweit seien sämtliche
vertraglichen Regelungen auf einen originären Arbeitseinsatz bei
der X GmbH gerichtet. Dies zeige insbesondere die Regelung zum
Arbeitsort, der sich ausdrücklich auf den Bereich des Standortes
der X GmbH beziehe.
II.
Bewertung der Entscheidung
abteilungen
verbreiteten Annahme privilegiert § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG
keinesfalls jede Form des Fremdeinsatzes konzernangehöriger
Arbeitnehmer innerhalb verbundener Unternehmen. Insbesondere ist
eine sog. Personalführungsgesellschaft von dem Anwendungsbereich
des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat in
den Gesetzesmaterialien klargestellt, (...)
|