Heft 07/2024

Heft Juli 2024

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 07/24 - Inhalt

  • Teilzeitausbildung als sinnvolle Lösung für Unternehmen

  • Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven Raues Betriebsklima, rauer Umgangston: Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bei Beleidigung in Chatgruppen

  • Rechtsanwälte Heiko Greulich und Christian Andorfer Konsequenzen fehlerhafter Offenlegung und Konkretisierung von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen: BAG, Urteil vom 05.03.2024, 9 AZR 204/23

  • Randstad setzt neuen Maßstab: Erster Personaldienstleister mit BaFin-Erlaubnis als Zahlungsdienstleister

  • Zeitarbeit im Zeichen der Zeit - 40 Jahre Blickpunkt Dienstleistung Ingrid Hofmann

  • Erwerbstätigkeit im Juni 2024 leicht gestiegen

  • Lindner: "Zeitarbeit enorm wichtig für den Arbeitsmarkt"

  • Amadeus Fire Group - Prognoseanpassung

  • Neue Lünendonk-Studie Zeitarbeit: Wachstum in herausforderndem Marktumfeld durch Spezialisierung und Kundennähe

  • Randstad Deutschland richtet die Unternehmensstrategie neu aus

  • ManpowerGroup Arbeitsmarktbarometer für Q3/2024 Deutscher Arbeitsmarkt vorsichtig optimistisch

  • Hays Fachkräfte-Index Q2/2024: Unternehmen schreiben deutlich weniger Stellen aus Kann die politische Gesinnung ein Kündigungsgrund sein?

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven

Raues Betriebsklima, rauer Umgangston: Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bei Beleidigung in Chatgruppen

Beleidigungen, üble Nachrede und rassistische Hetze sind im Arbeitsverhältnis ein No-Go. Wenn sich ein Mitarbeiter mit beleidigenden, verleumderischen oder hetzerischen Aussagen über Vorgesetzte und Kollegen auslässt, kann dies die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen – regelmäßig fristlos und damit ohne vorangehende Abmahnung (vgl. BAG v. 18.12.2014 – 2 AZR 265/14; BAG v. 27.09.2012 – 2 AZR 646/12). Dies gilt auch, wenn ein rauer Umgangston gepflegt wird, wie dies mitunter in einigen Bereichen, in denen Zeitarbeitnehmer zum Einsatz kommen, durchaus als "normal" angesehen wird.

Allerdings kennt die Rechtsprechung eine wichtige Ausnahme von diesem Grundsatz: führt ein Arbeitnehmer ein Gespräch in einem vertrauten bzw. vertraulichen Kreis, muss er – auch unter Arbeitskollegen – "kein Blatt vor den Mund" nehmen und darf sich regelmäßig darauf verlassen, dass seine Gesprächspartner seine Aussagen nicht nach außen tragen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet eine kommunikative Vertrauenssphäre, in der man "Dampf abzulassen" und emotional werden darf (vgl. BAG v. 10.01.2009 – 2 AZR 534/08; BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 418/01; BAG v. 17.02.2000 – 2 AZR 927/98).

In der Lebenswirklichkeit ist es eine typische Mobbing-Strategie, dass die Täter Gerüchte, beleidigende Spitznamen und andere Herabwürdigungen gezielt hinter dem Rücken ihrer Opfer in einem vertrauten Kreis streuen. Die Täter wollen sehr wohl, dass sich diese im Unternehmen verbreiten – nur eben nicht, dass das Opfer erfährt, wer diese ursprünglich in die Welt gesetzt hatte. Nicht selten sind WhatsApp- Gruppen die Plattform solcher Lästerrunden. Zu greifen bekommt man die Täter erst, sobald ein Mitglied aus selbiger "auspackt" und die WhatsApp-Kommunikation an den Arbeitgeber weiterleitet. Was aber gilt dann rechtlich? Darf der Arbeitgeber mit diesen Informationen eine verhaltensbedingte Kündigung begründen? Oder überwiegen Datenund Persönlichkeitsschutz zugunsten der Täter? Mit diesen Fragen musste sich jüngst das BAG in der nachfolgend besprochenen Entscheidung befassen (Urt. v. 24.08.2023 – 2 AZR 17/23).

I. Zusammenfassung der Entscheidung

Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger war seit 2014 Mitglied einer Chatgruppe auf WhatsApp, der ebenfalls fünf, zwischenzeitlich sechs, andere Arbeitnehmer der Beklagten angehörten. Bei den Gruppenmitgliedern handelte es sich z.T. um langjährige Freunde; zwei Mitglieder waren zudem miteinander verwandt.

In der Gruppe wurde uber rein private Themen, wie familiare Belange, aber auch uber die Arbeit geschrieben. Der Klager brachte sich auf seine ganz eigene Art ein: er nutzte die WhatsApp-Gruppe als Plattform fur die Beleidigung von Arbeitskollegen ("Gesichtsfo***, "Verraterfo***, "dreckige Wi*****). Wiederholt rief er zu Gewalt gegen selbige auf ("aufknupfen, "zusammenschlagen lassen, muss man in die Fresse hauen, "Einer muss von denen in die Fresse kriegen). Zudem hetzte er laufend gegen ethnische Minderheiten ("zionistische Herrscherlobby, "die Moslems sind dem gemeinen Juden recht ahnlich).

Als ein Mitglied der WhatsApp- Gruppe den Chatverlauf einem außenstehenden Arbeitskollegen offenbarte, meldete dieser den Inhalt dem Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis des Klägers sodann fristlos kündigte.

Das ArbG Hannover (Urt. v. 24.02.2022 – 10 Ca 147/21) und das LAG Niedersachsen (Urt. v. 19.12.2022 – 15 Sa 284/22) gaben der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage statt. Sie begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Kündigung unwirksam sei, da es sich bei dem Gruppen-Chat um eine vertrauliche Kommunikation in einer geschützten Privatsphäre handele. Der Arbeitnehmer habe darauf vertrauen können, dass die Inhalte nicht an Dritte gelangen würden.

Dies sah das BAG auf die Revision der Beklagten anders. Es hob die Entscheidung des LAG Niedersachsen auf und verwies die Sache an dieses zurück. Zunächst – so stellt der 2. Senat fest – stünden die Vorgaben des Datenschutzrechtes der gerichtlichen Verwertung von Äußerungen aus einem WhatsApp-Gruppenchat nicht entgegen. Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot bestehe nicht. Das BAG ließ offen, ob die Auswertung des WhatsApp-Gruppenchats durch die Beklagte datenschutzrechtskonform war. Ein Sach- und Beweisverwertungsverbot ergebe sich bereits deshalb nicht, weil der Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG etwaige entgegenstehende Belange des Persönlichkeitsschutzes des Klägers überwiege. Die Beklagte habe die WhatsApp-Kommunikation nicht zielgerichtet oder auf eigene Veranlassung, etwa durch eine Ausspähung, erlangt, sondern diese sei ihr über eine Kette von Mitarbeitern, die von deren Inhalt bereits Kenntnis besessen hätten, überlassenen worden. Die WhatsApp-Kommunikation betreffe zudem nicht den unantastbaren Intim-, sondern allenfalls den Privatbereich des Klägers. Schließlich ziele diese auf die Herabwürdigung, Verächtlichmachung und Beleidigung anderer Personen ab und berühre deshalb auch deren Sphäre sowie durch die Gewaltaufrufe ebenfalls Belange der Gemeinschaft.

Die Äußerungen des Klägers kämen schließlich – so das BAG – als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht. Zwar bestehe bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre, in der getroffene Äußerungen arbeitsrechtlich nicht sanktioniert werden könnten. Allerdings hätten die Vorinstanzen die Anforderungen an die Darlegung der Voraussetzungen einer solchen beleidigungsfreien Sphäre verkannt. Entscheidend sei, ob der Arbeitnehmer – abhängig von den jeweiligen Gesprächsinhalten – habe sicher davon ausgehen dürfen, dass seine Kollegen die von ihm getätigten Äußerungen für sich behalten und nicht nach außen tragen würden.

Mit seinem Urteil stellt das BAG den neuen Grundsatz auf, dass bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung nur im Ausnahmefall in Betracht komme. Bei solchen Äußerungen bestehe eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass Gesprächsteilnehmer diese aus Entrüstung, moralischen Bedenken oder aus Prahlerei und Imponiergehabe Dritten offenbarten. Deshalb entfalle bei solchen Äußerungen eine sekundäre Darlegungslast auf den sich äußernden Arbeitnehmer. Dieser müsse besondere Umstände substantiiert schildern, wegen derer er ausnahmeweise angesichts der Größe und Zusammensetzung des beteiligten Personenkreises berechtigterweise Stillschweigen gegenüber Außenstehenden habe erwarten dürfen. Dies sei dem Kläger bislang nicht gelungen.

Irrelevant sei, ob die WhatsApp- Kommunikation "Ende-zu-Ende" verschlüsselt gewesen sei, weil dies die Gruppenmitglieder nicht daran hindere, Informationen nach außen weiterzugeben. Vielmehr seien die technischen Möglichkeiten eines Messengerdienstes gerade auf leichte Kopierbarkeit und schnelle Weiterleitung der Daten angelegt. Auch könne man bei der Kommunikation über Chatnachrichten die nonverbale Reaktion der Gesprächsteilnehmer nicht sehen und deshalb schwieriger abschätzen, ob diese sich der Vertraulichkeit bewusst seien. Deshalb spreche eine Kommunikation über Messengerdienste, wie WhatsApp, prinzipiell gegen eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung. Eine Gruppe von sechs Mitgliedern, die die Äußerung zur Kenntnis genommen hätten, sei ebenfalls nicht mehr leicht überschaubar. Das BAG erwartet bei einer solchen Gruppengröße angesichts der streitgegenständlichen Begleitumstände mit Blick auf jedes einzelne Gruppenmitglied eine substantiierte Darlegung, warum sich der Kläger jeweils auf dessen Stillschweigen hätte verlassen können. Diese Darlegung hatte der Kläger nicht erbracht.

Die Zurückweisung der Sache erfolgte, um dem Kläger erneut die Möglichkeit zu geben, seine sekundäre Darlegungslast zu erfüllen. Wenn ihm dies nicht gelingen sollte, sei durch das Berufungsgericht zudem noch im Rahmen einer Interessenabwägung prüfen, ob die außerordentliche Kündigung insgesamt verhältnismäßig und somit gerechtfertigt sei – so die sog. "Segelanweisung" des BAG für das LAG Niedersachsen.

II. Bewertung

Seit längerem steht fest, dass beleidigende Äußerungen eines Arbeitnehmers nicht sanktioniert werden dürfen, wenn diese in einem Vertrauensgespräch in der sicheren Erwartung getroffen wurden, sie würden nicht über den Kreis der Teilnehmenden hinausdringen. Das BAG hatte eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung bei einem Gespräch mit insgesamt drei Personen angenommen (BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/08). Dagegen wurde die Vertraulichkeit bei einer größeren Zusammenkunft von Kollegen in einer Kneipe, die aus betrieblichem Anlass durchgeführt wurde, verneint (BAG v. 17.02.2000 – 2 AZR    (...)



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