Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
Raues
Betriebsklima, rauer Umgangston: Kündigung eines
Arbeitsverhältnisses bei Beleidigung in Chatgruppen
Beleidigungen,
üble Nachrede und rassistische Hetze sind im Arbeitsverhältnis
ein No-Go. Wenn sich ein Mitarbeiter mit beleidigenden,
verleumderischen oder hetzerischen Aussagen über Vorgesetzte und
Kollegen auslässt, kann dies die Kündigung seines
Arbeitsverhältnisses rechtfertigen – regelmäßig fristlos und
damit ohne vorangehende Abmahnung (vgl. BAG v. 18.12.2014 – 2
AZR 265/14; BAG v. 27.09.2012 – 2 AZR 646/12). Dies gilt auch,
wenn ein rauer Umgangston gepflegt wird, wie dies mitunter in
einigen Bereichen, in denen Zeitarbeitnehmer zum Einsatz kommen,
durchaus als "normal" angesehen wird.
Allerdings
kennt die Rechtsprechung eine wichtige Ausnahme von diesem
Grundsatz: führt ein Arbeitnehmer ein Gespräch in einem
vertrauten bzw. vertraulichen Kreis, muss er – auch unter
Arbeitskollegen – "kein Blatt vor den Mund" nehmen und
darf sich regelmäßig darauf verlassen, dass seine
Gesprächspartner seine Aussagen nicht nach außen tragen. Das
allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet eine kommunikative
Vertrauenssphäre, in der man "Dampf abzulassen" und
emotional werden darf (vgl. BAG v. 10.01.2009 – 2 AZR 534/08;
BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 418/01; BAG v. 17.02.2000 – 2 AZR
927/98).
In
der Lebenswirklichkeit ist es eine typische Mobbing-Strategie,
dass die Täter Gerüchte, beleidigende Spitznamen und andere
Herabwürdigungen gezielt hinter dem Rücken ihrer Opfer in einem
vertrauten Kreis streuen. Die Täter wollen sehr wohl, dass sich
diese im Unternehmen verbreiten – nur eben nicht, dass das Opfer
erfährt, wer diese ursprünglich in die Welt gesetzt hatte. Nicht
selten sind WhatsApp- Gruppen die Plattform solcher Lästerrunden.
Zu greifen bekommt man die Täter erst, sobald ein Mitglied aus
selbiger "auspackt" und die WhatsApp-Kommunikation an
den Arbeitgeber weiterleitet. Was aber gilt dann rechtlich? Darf
der Arbeitgeber mit diesen Informationen eine verhaltensbedingte
Kündigung begründen? Oder überwiegen Datenund
Persönlichkeitsschutz zugunsten der Täter? Mit diesen Fragen
musste sich jüngst das BAG in der nachfolgend besprochenen
Entscheidung befassen (Urt. v. 24.08.2023 – 2 AZR 17/23).
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
Der
bei der Beklagten beschäftigte Kläger war seit 2014 Mitglied
einer Chatgruppe auf WhatsApp, der ebenfalls fünf,
zwischenzeitlich sechs, andere Arbeitnehmer der Beklagten
angehörten. Bei den Gruppenmitgliedern handelte es sich z.T. um
langjährige Freunde; zwei Mitglieder waren zudem miteinander
verwandt.
In
der Gruppe wurde uber rein private Themen, wie familiare Belange,
aber auch uber die Arbeit geschrieben. Der Klager brachte sich auf
seine ganz eigene Art ein: er nutzte die WhatsApp-Gruppe als
Plattform fur die Beleidigung von Arbeitskollegen ("Gesichtsfo***,
"Verraterfo***, "dreckige Wi*****). Wiederholt rief er
zu Gewalt gegen selbige auf ("aufknupfen,
"zusammenschlagen lassen, muss man in die Fresse hauen,
"Einer muss von denen in die Fresse kriegen). Zudem hetzte er
laufend gegen ethnische Minderheiten ("zionistische
Herrscherlobby, "die Moslems sind dem gemeinen Juden recht
ahnlich).
Als
ein Mitglied der WhatsApp- Gruppe den Chatverlauf einem
außenstehenden Arbeitskollegen offenbarte, meldete dieser den
Inhalt dem Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis des Klägers
sodann fristlos kündigte.
Das
ArbG Hannover (Urt. v. 24.02.2022 – 10 Ca 147/21) und das LAG
Niedersachsen (Urt. v. 19.12.2022 – 15 Sa 284/22) gaben der vom
Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage statt. Sie begründeten
ihre Entscheidung damit, dass die Kündigung unwirksam sei, da es
sich bei dem Gruppen-Chat um eine vertrauliche Kommunikation in
einer geschützten Privatsphäre handele. Der Arbeitnehmer habe
darauf vertrauen können, dass die Inhalte nicht an Dritte
gelangen würden.
Dies
sah das BAG auf die Revision der Beklagten anders. Es hob die
Entscheidung des LAG Niedersachsen auf und verwies die Sache an
dieses zurück. Zunächst – so stellt der 2. Senat fest –
stünden die Vorgaben des Datenschutzrechtes der gerichtlichen
Verwertung von Äußerungen aus einem WhatsApp-Gruppenchat nicht
entgegen. Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot bestehe
nicht. Das BAG ließ offen, ob die Auswertung des
WhatsApp-Gruppenchats durch die Beklagte datenschutzrechtskonform
war. Ein Sach- und Beweisverwertungsverbot ergebe sich bereits
deshalb nicht, weil der Anspruch der Beklagten auf rechtliches
Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG etwaige entgegenstehende Belange
des Persönlichkeitsschutzes des Klägers überwiege. Die Beklagte
habe die WhatsApp-Kommunikation nicht zielgerichtet oder auf
eigene Veranlassung, etwa durch eine Ausspähung, erlangt, sondern
diese sei ihr über eine Kette von Mitarbeitern, die von deren
Inhalt bereits Kenntnis besessen hätten, überlassenen worden.
Die WhatsApp-Kommunikation betreffe zudem nicht den unantastbaren
Intim-, sondern allenfalls den Privatbereich des Klägers.
Schließlich ziele diese auf die Herabwürdigung,
Verächtlichmachung und Beleidigung anderer Personen ab und
berühre deshalb auch deren Sphäre sowie durch die Gewaltaufrufe
ebenfalls Belange der Gemeinschaft.
Die
Äußerungen des Klägers kämen schließlich – so das BAG –
als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des
Arbeitsverhältnisses i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht. Zwar
bestehe bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende
Dritte in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie
Sphäre, in der getroffene Äußerungen arbeitsrechtlich nicht
sanktioniert werden könnten. Allerdings hätten die Vorinstanzen
die Anforderungen an die Darlegung der Voraussetzungen einer
solchen beleidigungsfreien Sphäre verkannt. Entscheidend sei, ob
der Arbeitnehmer – abhängig von den jeweiligen
Gesprächsinhalten – habe sicher davon ausgehen dürfen, dass
seine Kollegen die von ihm getätigten Äußerungen für sich
behalten und nicht nach außen tragen würden.
Mit
seinem Urteil stellt das BAG den neuen Grundsatz auf, dass bei
beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über
Betriebsangehörige eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung nur
im Ausnahmefall in Betracht komme. Bei solchen Äußerungen
bestehe eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass
Gesprächsteilnehmer diese aus Entrüstung, moralischen Bedenken
oder aus Prahlerei und Imponiergehabe Dritten offenbarten. Deshalb
entfalle bei solchen Äußerungen eine sekundäre Darlegungslast
auf den sich äußernden Arbeitnehmer. Dieser müsse besondere
Umstände substantiiert schildern, wegen derer er ausnahmeweise
angesichts der Größe und Zusammensetzung des beteiligten
Personenkreises berechtigterweise Stillschweigen gegenüber
Außenstehenden habe erwarten dürfen. Dies sei dem Kläger
bislang nicht gelungen.
Irrelevant
sei, ob die WhatsApp- Kommunikation "Ende-zu-Ende"
verschlüsselt gewesen sei, weil dies die Gruppenmitglieder nicht
daran hindere, Informationen nach außen weiterzugeben. Vielmehr
seien die technischen Möglichkeiten eines Messengerdienstes
gerade auf leichte Kopierbarkeit und schnelle Weiterleitung der
Daten angelegt. Auch könne man bei der Kommunikation über
Chatnachrichten die nonverbale Reaktion der Gesprächsteilnehmer
nicht sehen und deshalb schwieriger abschätzen, ob diese sich der
Vertraulichkeit bewusst seien. Deshalb spreche eine Kommunikation
über Messengerdienste, wie WhatsApp, prinzipiell gegen eine
berechtigte Vertraulichkeitserwartung. Eine Gruppe von sechs
Mitgliedern, die die Äußerung zur Kenntnis genommen hätten, sei
ebenfalls nicht mehr leicht überschaubar. Das BAG erwartet bei
einer solchen Gruppengröße angesichts der
streitgegenständlichen Begleitumstände mit Blick auf jedes
einzelne Gruppenmitglied eine substantiierte Darlegung, warum sich
der Kläger jeweils auf dessen Stillschweigen hätte verlassen
können. Diese Darlegung hatte der Kläger nicht erbracht.
Die
Zurückweisung der Sache erfolgte, um dem Kläger erneut die
Möglichkeit zu geben, seine sekundäre Darlegungslast zu
erfüllen. Wenn ihm dies nicht gelingen sollte, sei durch das
Berufungsgericht zudem noch im Rahmen einer Interessenabwägung
prüfen, ob die außerordentliche Kündigung insgesamt
verhältnismäßig und somit gerechtfertigt sei – so die sog.
"Segelanweisung" des BAG für das LAG Niedersachsen.
II.
Bewertung
Seit
längerem steht fest, dass beleidigende Äußerungen eines
Arbeitnehmers nicht sanktioniert werden dürfen, wenn diese in
einem Vertrauensgespräch in der sicheren Erwartung getroffen
wurden, sie würden nicht über den Kreis der Teilnehmenden
hinausdringen. Das BAG hatte eine berechtigte
Vertraulichkeitserwartung bei einem Gespräch mit insgesamt drei
Personen angenommen (BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 534/08). Dagegen
wurde die Vertraulichkeit bei einer größeren Zusammenkunft von
Kollegen in einer Kneipe, die aus betrieblichem Anlass
durchgeführt wurde, verneint (BAG v. 17.02.2000 – 2 AZR
(...)
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